Schwarzburg. Die Weimarer Verfassung erhielt ihren Namen nach dem Ort, wo sie vor 100 Jahren beschlossen wurde. In Kraft gesetzt wurde sie allerdings nicht in Weimar, sondern in einem kleinen Thüringer Urlaubsort.

Der Urlaub eines Staatsoberhauptes hat dem kleinen Ort Schwarzburg in Thüringen seinen Platz in der Geschichte verschafft. 60 Kilometer entfernt von Weimar, wo die Nationalversammlung der ersten deutschen Demokratie tagte, setzte Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) am 11. August 1919 seine Unterschrift unter die Weimarer Verfassung. Genau 100 Jahre später würdigt an diesem Sonntag (11. August) ein Verfassungsfest auf Schloss Schwarzburg das Ereignis, das aus Sicht der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Wahrnehmung der Weimarer Republik immer ein wenig im Schatten stand.

„Überregional ist es heute kaum bekannt, dass die Weimarer Verfassung nicht in Weimar, sondern in Schwarzburg unterzeichnet wurde“, sagt Irina Mohr, die das Thüringer Landesbüro der SPD-Parteistiftung leitet. Dabei steht auf der Verfassungsurkunde, die Friedrich Ebert (1871 bis 1925) signierte, in gut lesbarer Handschrift „Schwarzburg“ als Ortsangabe. Nach unruhigen Monaten 1918/19 mit Novemberrevolution, Kaisersturz, Kämpfen in Berlin und Wahlen zur Nationalversammlung war der gesundheitlich angeschlagene Politiker am 29. Juli 1919 hier mit seiner Frau Louise zur Erholung eingetroffen. Derweil arbeiteten die Abgeordneten der Nationalversammlung mit Hochdruck an der Reichsverfassung, die am 31. Juli 1919 beschlossen wurde.

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© Jan-Peter Kasper/dpa

Der genaue Unterschriftsort in Schwarzburg ist unbekannt, wie auch der Grund, warum es Ebert ausgerechnet dorthin in den Urlaub zog. „Schwarzburg war damals schon ein anerkannter Luftkurort“, sagt Frank Otto, der ehrenamtliche stellvertretende Bürgermeister der heute knapp 600 Einwohner zählenden Gemeinde. Von Weimar aus war Ebert zudem für die Regierungsmitglieder relativ schnell erreichbar. Fotos zeigen den berühmten Urlauber vor dem Hotel „Weißer Hirsch“ oder beim Spaziergang auf der Terrasse von Schloss Schwarzburg, von der er herab ins wildromantische Schwarzatal - heute Teil des Naturparks Thüringer Wald - blickt.

In dem Ort mit einer Handvoll Hotels und Pensionen, einigen Privatvermietern, einer Jugendherberge und einem halben Dutzend Handwerksbetrieben ist das erste demokratisch gewählte deutsche Staatsoberhaupt allgegenwärtig. Ein Platz ist nach Ebert benannt, ein Gedenkstein auf der Schlossterasse erinnert an ihn, ein Hotel nimmt die Unterzeichnung mit einer Tafel an der Fassade für sich in Beschlag. Ebert hatte in dem Haus „SchwarzaBurg“ mit seiner Familie gewohnt.

„Ebert gehört einfach zu Schwarzburg“, sagt Otto. Das zeige auch das Interesse der Einheimischen am bevorstehenden Verfassungsfest mit Diskussionsrunden, Schlossführungen, Fahrrad- und Oldtimertouren von Weimar nach Schwarzburg. „Die Menschen sind schon stolz auf diese Geschichte“, sagt Michael Baum, der Vorsitzende des Schloss-Fördervereins.

Allerdings sei auch in Schwarzburg zu spüren, dass sich heute gerade in ländlichen Regionen viele Menschen nicht richtig wahrgenommen fühlten, beobachtet er. Bei den Europawahlen im Mai erzielte die AfD mit 26,8 Prozent die meisten Stimmen im Ort, deutlich über dem Landesergebnis von 22,5 Prozent.

Diesem Gefühl müsse man auch mit eigener Kraft etwas entgegensetzen, findet Baum. „In einer Demokratie ist es doch wichtig, dass man auch selbst Verantwortung übernimmt.“ Baum, freiberuflicher Kameramann, steht vor dem Schloss. Den Schlosskomplex, einst Adelssitz der Schwarzburger Fürsten, hatten die Nationalsozialisten für ein nie fertiggestelltes „Reichsgästehaus“ von Zwangsarbeitern teilweise abreißen lassen. In der DDR wurde der Kaisersaal wiederhergestellt, das nach der Jahrtausendwende restaurierte Torhaus beherbergt jetzt die fürstliche Waffensammlung.

Im Haupthaus entsteht als Pendant zum gerade eröffneten Haus der Weimarer Republik in Weimar derzeit ein „Denkort der Demokratie“, ein Gemeinschaftsprojekt von Thüringer Stiftung Schlösser und Gärten, Verein und Internationaler Bauausstellung (IBA) Thüringen. Baum schwebt eine Begegnungsstätte für Vorträge, Workshops und Treffen zivilgesellschaftlicher Gruppen vor. Der Ort lebt von Kontrasten - das alte Dekor aus Adelszeiten, das bei Eberts Besuch noch sichtbar war, daneben die von den Nazis geschlagenen Wunden. Diese „kulturgeschichtliche Barbarei“, so Baum, soll sichtbar bleiben - als Symbol dafür, wie fragil Demokratie sein kann.

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