Für Freudentänze ist es zu früh meint Thomas Beilner

Endlich steigt die Inflation und ist wieder zu einem Thema geworden. Sie war im Januar dieses Jahres positiv und dürfte im Jahresverlauf weiter zulegen. Als Gründe werden die gestiegenen Energiepreise, die höhere deutsche Mehrwertsteuer und die CO2-Bepreisung angeführt. Steht die Europäische Zentralbank (EZB) doch seit Jahren vor der Herausforderung, ihr Inflationsziel von „unter, aber nahe zwei Prozent“ nicht zu erreichen und flutet die Märkte durch expansive Maßnahmen mit enormer Liquidität.

Nur der ökonomische Zusammenhang aus dem Monetarismus, dass eine steigende Geldmenge bei einem gegebenen Güterangebot zu Inflation führt, hat bislang nicht gegriffen. Nun springen also die Raten endlich an. Eine Diskussion über die makroökonomische Stabilität ist wieder da.

Also doch keine Freude? Eine Verharmlosung ist hier ebenso unangebracht wie eine Dramatisierung. Das Problem mit der Inflation ist nicht so sehr deren absolute Höhe, als vielmehr ansteigende Inflationserwartungen. Erwarten nämlich die Akteure im Wirtschaftsleben einen Verlust an Kaufkraft, werden sie Ausgaben für Konsum und Investitionen vorziehen. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigt an. Trifft diese dann auf ein weniger flexibles Güterangebot, erzeugen die Produktionsengpässe über Preiseffekte Inflation.

Die Bekämpfung dieser Preissteigerungen ist herausfordernd. Auch kann die hohe Menge an Zentralbankgeld inflationswirksam werden, da aktuell Unternehmen, private Haushalte und Banken diese horten und an den Kapitalmärkten investieren. Dieser Geldüberhang, der sich aktuell nicht in steigenden Güterpreisen aber in Vermögenspreisen äußert, kann inflationäre Tendenzen bewirken. Gleichwohl bedeutet eine Annäherung der Inflationsrate an das EZB-Inflationsziel bei gleichzeitig niedrigen Zinsen, dass die europäischen Staatsschuldenquoten (absolute Staatsschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt) fallen können. Ist nämlich der Realzins der Staatsschulden geringer als die realen Wachstumsraten der Staaten, wachsen die Staatsschulden weniger stark als das Bruttoinlandsprodukt und man wächst aus den Schulden heraus.

Dies setzt allerdings eine Wirtschaftspolitik mit einer Konzentration auf nachhaltiges Wachstum und Strukturerneuerungen voraus. Auch ist es fraglich, ob die Zentralbank mit ihrer Geldpolitik in Zeiten steigender Inflationsraten die Zinsen ohne Bedenken anheben kann. Denn gerade durch die niedrigen Zinsen wird die Refinanzierung der Staatsschulden erst möglich, zum Nachteil von Anlegern und Investoren.

Die Anleger müssen sich bei weiteren Nullzinsen, steigenden Inflationsperspektiven mit dem Verlust an realer Kaufkraft beschäftigen. Umso wichtiger ist es, die persönliche Vermögensaufstellung in Anlageklassen und Gewichtungen intensiv zu überprüfen und den Gegebenheiten anzupassen. In einer Zeit nach Corona ist ein abgestimmtes und koordiniertes Handeln von Geld-, Fiskalpolitik, Zentralbanken und Regierungen notwendig. Der Zusammenhang aus Staatsschulden, Wachstum, Inflation, niedrigen Zinsen rüttelt auch an der politischen Unabhängigkeit der Zentralbanken.

Noch gibt es keine Zielkonflikte. Aber eine langfristige makroökonomische Stabilität setzt ein hohes Maß an Feingefühl an die politisch verantwortlichen Personen voraus, das nicht kurzfristig aufs Spiel gesetzt werden darf. Für Freudentänze ist es zu früh.

(Thomas Beilner ist Honorarprofessor für Finanzmarkttheorie an der Universität Erfurt. Er studierte Volks- und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Frankfurt am Main und promovierte an der Universität Bayreuth.)