Erfurt/Weimar. Viele Thüringer Kulturleute engagieren sich nach dem verheerenden Brand in der Pariser Kathedrale. Die Bachwochen und die Klassik-Stiftung Weimar gehen voran.

Drei Tage nach der Brandkatastrophe der Kathedrale Notre-Dame de Paris sitzt der Schock über das Ereignis noch immer tief. Zugleich hat eine tiefe Nachdenklichkeit begonnen und eine Woge der Solidarität europaweit eingesetzt. So auch in Thüringen: Kultureinrichtungen wie die Bachwochen und die Klassik-Stiftung bieten den Franzosen ihre Hilfe an. Die Bachwochen haben ein Benefizkonzert am Donnerstag, 2. Mai, 19.30 Uhr, im Erfurter Dom ins Programm aufgenommen. „Das war eine spontane und sehr naheliegende Entscheidung“, sagte gestern Geschäftsführer Christoph Drescher unserer Zeitung.

Naheliegend deshalb, weil der Erfurter Domorganist und Bachwochen-Präsident Silvius von Kessel drei Jahre lang, zwischen 1991 und 1993, bei Olivier Latry, dem Titularorganisten von Notre-Dame, studiert hat. „Die Orgel ist gerettet!“ frohlockte von Kessel im ersten Impuls, als wir ihn gestern telefonisch erreichten. „Das ist fast schon ein Wunder. Sie steht ja fast unterm Dach, hinten oben unter der Empore in der Verbindungslinie zwischen den beiden Haupttürmen.“ Aber natürlich weiß auch er, dass diese Königin der Instrumente sicherlich schwere Schäden erlitten hat: durch die infernalische Hitze, durch Ruß und Löschwasserfeuchte. Ihr vor allem sollen die Spenden des Erfurter Benefizkonzerts zugutekommen.

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Die erhabene Orgel zeugt von langer Geschichte

Mit Latry, dem alten Lehrer und Freund, der als Weltklassekünstler seines Fachs schon fünf Mal in Thüringen auftrat, pflegt von Kessel nach wie vor engen Kontakt. Gesprochen hat er ihn seit dem Unglück noch nicht, nur ein paar Kurznachrichten per SMS ausgetauscht. Und dann schwärmt er von dem Instrument als einem Meisterwerk mit langer Geschichte. Im Kern sei die Barockorgel aus dem späten 18. Jahrhundert noch immer vorhanden gewesen, obschon der berühmte Orgelbaumeister Aristide Cavaillé-Coll sie ab 1863 grundlegend umgebaut und erweitert habe. Die großen symphonischen Werke von César Franck oder Louis Vierne zählten seitdem dort zum Repertoire. Im 20. Jahrhundert gab es einen neuen Spieltisch, und zuletzt hielt sogar eine hochsensible elektronische Steuerung Einzug.

„Sie ist ein gewaltiges Instrument“, sagt von Kessel aus eigener Erfahrung. „Sie klingt sehr erhaben und triumphal.“ Der Nachhall mag ihm prompt vorm inneren Ohr bewusst geworden sein, als ihn am Montagabend Christoph Drescher anrief. „Da saß ich gerade in unserem Dom an der Orgel“, erzählt er. „Es war so unwirklich.“ Gegen die aufwallenden Gefühle habe er dann im Gotteshaus mit Improvisationen angespielt. Notre-Dame, berichtet von Kessel seine Wahrnehmung aus Studientagen, sei das Herz Frankreichs. Nicht nur die Orgel, auch die Kathedrale hat er damals ins Herz geschlossen. „Ich liebe Notre-Dame“, bekennt er. Dass man nun die Solidarität aus der Bach-Region übermittle, sei ein Brückenschlag zwischen den Traditionen. Am 2. Mai treten außer Silvius von Kessel zwei ehemalige Schüler auf, der Organist der Trost-Orgel Waltershausen Theophil Heinke und der Naumburger Wenzelsorganist Hans Christian Martin. So pflanzt sich Historie fort ...

Weimarer Feuersbrunst ist noch nicht verwunden

Ähnlich wie von Kessel ist es Jürgen Weber, dem stellvertretenden Direktor der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek zu Weimar, ergangen; er koordiniert bis heute die Restaurierungsarbeiten nach der Feuersbrunst vom 2. September 2004. „Wenn man so etwas im eigenen Haus erlebt hat, läuft im Inneren ein Film ab“, berichtet er die Wirkung der Nachrichten aus Paris. Gemälde und andere Kunstwerke haben die Weimarer damals, so weit möglich, extern restaurieren lassen. Fürs Schriftgut jedoch haben sie eine eigene, weltweit geschätzte Werkstatt in einem Vorort aufgebaut. „Wenn unsere Expertise gefragt ist, stehen wir sehr gern zur Verfügung“, sagt Weber. Vielleicht für historische Bibeln oder Kirchenbücher – was auch immer. Das sei doch selbstverständlich.

Inferno von Notre-Dame: Wiederaufbau binnen fünf Jahren geplant

Diese Betroffenheit, die wir alle empfinden, wundert den Philosophen Klaus-Michael Kodalle gar nicht. Natürlich trage Notre-Dame einen starken Symbolcharakter für die Franzosen, analysiert der Emeritus der Universität Jena. Doch zugleich spiegelten sich darin 900 Jahre europäischer Kultur und Geschichte – nicht nur, weil Victor Hugo einen großartigen Roman, den „Glöckner von Notre-Dame“, verfasste. „Erst im Augenblick der Katastrophe dämmert den Menschen auf, was es bedeutet“, sagt Kodalle. „Dass etwas aus ihrer Lebenswelt, das fundamental ist für ihre Identität droht, verloren zu gehen.“ Den Wiederaufbau sieht er nun als Chance an, ein Signal für die Eintracht in Europa zu setzen.

Benefiz im Erfurter Dom am Donnerstag, 2. Mai, 19.30 Uhr. Eintritt frei, Spenden erbeten