Berlin. Experten sehen großes Potenzial: Eine besondere Therapieform könnte die Überlebenschancen von Hautkrebs-Patienten deutlich erhöhen.

Die Häufigkeit von Hautkrebs steigt seit einigen Jahrzehnten stetig an. Das maligne Melanom ist dabei die gefährlichste Art. Im Jahr 2020 erkrankten in Deutschland daran rund 23.650 Männer und Frauen. Eine Immuntherapie kann Überlebenschancen und Lebensqualität der Patientinnen und Patienten deutlich verbessern. Eine besondere Form dieser Therapie, so erste Studienergebnisse, „könnte die Hautkrebs-Behandlung revolutionieren“, sagt Prof. Dirk Schadendorf, Direktor der Klinik für Dermatologie der Universitätsmedizin Essen.

Der Ansatz der Immuntherapie gegen Krebs ist das körpereigene System zur Bekämpfung von Erregern und geschädigten Zellen. Bei einigen Tumorerkrankungen ist es bereits gelungen, die Fähigkeiten dieses Systems im Kampf gegen Krebszellen zu nutzen. Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft trifft dies vor allem für schwarzen Haut- (malignes Melanom) und Lungenkrebs zu.

Zentraler Punkt dieser Therapie sind sogenannte Checkpoints. Diese könnte man als Bremsen des Immunsystems bezeichnen, die sich auf den Abwehrzellen befinden und eine überschießende Immunreaktion verhindern. Krebszellen können diese ursprünglich hilfreichen Bremsen für sich ausnutzen. In der Folge läuft die körpereigene Abwehr ins Leere.

Hautkrebs: Diese Therapien ermöglichen langfristige Kontrolle

Gegensteuern können moderne Medikamente, sogenannte Checkpoint-Inhibitoren. Diese lösen die krebsbedingte Blockade wieder auf und regen das Immunsystem dazu an, Tumorzellen zu erkennen und zu vernichten. „Diese Therapien sind heute Therapie der ersten Wahl und ermöglichen eine komplette Tumorvernichtung und eine langfristige Tumorkontrolle über viele Jahre“, erklärt Dirk Schadendorf.

Der schwarze Hautkrebs (malignes Malinom) ist die gefährlichste Art des Hautkrebses.
Der schwarze Hautkrebs (malignes Malinom) ist die gefährlichste Art des Hautkrebses. © Getty Images | kali9

Beim Hautkrebs wird diese Form der Immuntherapie nach einer chirurgischen Entfernung eines Tumors eingesetzt. Fachleute sprechen dabei von einer adjuvanten Therapie, um dem Krankheitsrückfall vorzubeugen. Nun aber zeigen neueste Studienergebnisse, dass eine zusätzliche Immuntherapie schon vor einer Operation, in der Fachsprache als neoadjuvant bezeichnet, sowohl Überlebenschancen als auch Lebensqualität von Betroffenen deutlich verbessern kann. Sie lässt dabei Tumore vor ihrer Entfernung schrumpfen.

In einer im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ veröffentlichten Studie zum Beispiel erhielten mehr als 300 Patientinnen und Patienten mit einem fortgeschrittenen malignen Melanom sechs bis zwölf Wochen vor dem operativen Eingriff einen Checkpoint-Inhibitor. Im Anschluss an die Operation wurden die Patienten wie sonst üblich medikamentös mit dem Checkpoint-Inhibitor weiterbehandelt.

„Daten dieser Studien sind wirlich sehr interessant“

Die Ergebnisse waren eindeutig: Deutlich mehr neoadjuvant behandelte Patienten lebten über einen Zeitraum von zwei Jahren ohne Rückfall, bei fast jedem Zehnten konnte sogar ganz auf eine Operation verzichtet werden. Eine höhere Zahl schwerer Nebenwirkungen wurde laut Studie in der Neoadjuvant-Gruppe nicht verzeichnet.

Prof. Dirk Schadendorf, Direktor der Klinik für Dermatologie der Universitätsmedizin Essen.
Prof. Dirk Schadendorf, Direktor der Klinik für Dermatologie der Universitätsmedizin Essen. © Andre Zelck/Universitätsmedizin Essen | Andre Zelck/Universitätsmedizin Essen

Dirk Schadendorf zufolge gibt es mittlerweile vielversprechende Studienergebnisse zur neoadjuvanten Therapie für insgesamt drei verschiedene Tumorarten der Haut: das maligne Melanom, das Merkelzellkarzinom und das Plattenepithelkarzinom. Die neoadjuvante Immuntherapie dürfte dabei vor allem für Patientinnen und Patienten mit ausgedehnter Lymphknoten-Metastasierung infrage kommen – laut dem Mediziner aus Essen sind das etwa 20 bis 25 Prozent aller Betroffenen.

„Die Daten dieser Studien sind schon sehr gut und wirklich interessant“, sagt auch Jochen Utikal, Direktor des Hauttumorzentrums an der Uniklinik in Mannheim. Und doch sieht der Leiter der klinischen Kooperationseinheit Dermato-Onkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) auch einen kritischen Punkt.

Zulassung: Einige Hürden gibt es noch

„Manche dieser eingesetzten Checkpoint-Inhibitoren haben nur eine Anspruchsrate von 50 Prozent“, sagt Utikal. Was bedeutet, dass es Patienten geben könnte, die von der neoadjuvanten Therapie einen Nachteil hätten. Bei ihnen könnten die Tumore und Metastasen in den Wochen der Vortherapie größer werden, statt zu schrumpfen. „Dann kann es sein, dass der Patient nicht mehr operiert werden kann, weil die Metastase zu groß ist. Deswegen müsste man diese Patienten sorgfältig auswählen“, sagt Utikal.

Gäbe es mehr Checkpoint-Inhibitoren mit hoher Ansprechrate, wäre dieses Risiko kalkulierbarer. „Dann hätte wohl der überwiegende Teil der Patienten einen Vorteil“, erklärt Utikal. Zwar werde an der Entwicklung dieser Medikamente gearbeitet, noch aber gebe es sie nicht.

Bisher ist die neoadjuvante Immuntherapie für keine der drei Tumorarten der Haut zugelassen. Aktuell gibt es auch keine formelle Zulassungsstudie, für die Teilnehmer rekrutiert werden. Diese wird erst im Laufe dieses Jahres erwartet. Bis diese Behandlungsform in der Breite angewandt werden könnte, gebe es noch einige Hindernisse zu überwinden, sagt Dirk Schadendorf. Nicht zuletzt gehe es dabei auch ums Geld. Die Immuntherapie ist teuer, sie kostet mehrere Zehntausend Euro.

Der Klinikleiter aus Essen ist trotzdem davon überzeugt, dass sich die neoadjuvante Therapie in den nächsten Jahren durchsetzen werde. Und vielleicht könne sie irgendwann sogar dazu beitragen, dass ein beträchtlicher Teil der Tumorpatienten gar nicht mehr operiert werden müsste. Schadendorf: „Diese Vision gibt es tatsächlich.“

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