Wittenberg. Seit etwa 700 Jahren hängt das Sandsteinrelief an der Stadtkirche in Wittenberg. Ein Mitglied der jüdischen Gemeine hatte Klage eingereicht, weil er sich durch die Plastik beleidigt fühlt.

Die sogenannte Judensau prangt etwa seit 1305 an der Südfassade der evangelischen Kirche in Wittenberg. An den Zitzen der Sau säugen Menschen, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After.

Nach der Klage eines Mitgliedes der jüdischen Gemeinde hat das Landgericht Dessau-Roßlau entschieden, dass das Relief an der Fassade der Stadtkirche hängen bleiben darf. Eine Berufung zum Oberlandesgericht Naumburg ist laut Gericht möglich.

Richter Wolfram Pechtold erklärte, es bestehe kein Beseitigungsanspruch seitens des Klägers. Auch liege keine von der evangelischen Gemeinde ausgehende Beleidigung im Sinne des Strafgesetzbuches vor. Das Vorhandensein der Plastik könne nicht als Kundgabe der Nichtachtung oder Missachtung gegenüber in Deutschland lebenden Juden verstanden werden, erklärte der Richter.

Schweine gelten im Judentum als unrein, weshalb die abgebildete Sau Juden auf demütigende Weise verspotten soll. Es galt also vom Gericht zu klären, ob das etwa 700 Jahre alte Relief als Beleidigung entfernt werden soll, oder als historische Figur der christlichen Geschichte und als Mahnmal für den Antisemitismus weiter an der Kirche hängen bleibt.

Geklagt hatte Michael Düllmann aus Berlin. Er ist Mitglied der jüdischen Gemeinde und sieht sich durch die Skulptur in seiner Ehre verletzt. Geklagt hat er auf Beleidigung nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuchs, verbunden mit einem Beseitigungsanspruch nach Paragraf 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die hierfür erforderliche Voraussetzung, ein „aktives Tun“ der Stadtkirchengemeinde, ist aus Sicht von Richter Wolfram Pechtold nicht gegeben – schließlich sei die Judensau nicht durch die Gemeinde aufgehängt worden, sondern Teil eines historischen Baudenkmals.

Richter Pechtold der Gesellschaft gab während der Verhandlung mit auf den Weg, dass sie sich darüber klar werden müsse, wie sie mit solchen Abbildungen umgehen will. Insbesondere die Kirche müsse sich fragen, was sie dadurch für ein Bild abgebe.

Wittenberger Bevölkerung ist zwiegespalten

„Der Entscheidungsträger, ob die Plastik an der Kirche bleibt, ist der Gemeindekirchenrat“, sagte Stadtkirchenpfarrer Johannes Block vor der Urteilsverkündung. Dieser sei seit 30 Jahren davon überzeugt, „dass man Geschichte nicht verleugnen und zu seiner Geschichte stehen soll und am Originalort mit dem Originalstück der Geschichte gedenkt“.

Andererseits, sagt Block, der seit acht Jahren Pfarrer an der Stadtkirche ist, nehme er in Wittenberg „seit Jahrzehnten eine große Kollision in der Bevölkerung“ wahr. Die Gräben zwischen Verfechtern einer Entfernung der Skulptur und denjenigen, die sagten, damit müsse man leben, seien „relativ tief“.

Und auch der Gemeindekirchenrat, der zwar nach außen hin mit einer Stimme spreche, befinde sich intern nach wie vor in der Diskussion. Er wolle dem Urteil nicht vorgreifen, sagt Block, halte es aber für durchaus denkbar, die 1988 errichtete Stätte der Mahnung, eine Gedenkplatte am Südostflügel der Kirche, noch weiterzuentwickeln.

Eine Erklärtafel wäre möglich

Die Debatte ist allerdings auch nach dem Urteilsspruch noch nicht beendet. Der Gemeindekirchenrat hatte im Sommer 2018 auch Kontakt zum Zentralrat der Juden aufgenommen. Dessen Präsident Josef Schuster ist mit den bisherigen Bemühungen der Gemeinde offenbar nur zum Teil zufrieden. Dem Evangelischen Pressedienst sagt er: „Wenn die Schmähplastik an ihrem ursprünglichen Platz bleiben soll, wäre es unerlässlich, eine eindeutige Erklärtafel anzubringen, die gut sichtbar ist.“

Kläger Michael Düllmann ließ über seinen Anwalt verlauten, dass er „alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausschöpfen wird“. Das Thema scheint also auch juristisch noch kein Ende zu nehmen.

Ähnliche mittelalterliche Darstellungen wie die „Judensau“ in Wittenberg finden sich auch an anderen Kirchen in Deutschland. In Thüringen wird zum Beispiel im Erfurter Dom eine Szene am Chorgestühl dargestellt, bei der die christliche Kirche auf einem Pferd sitzt, die jüdische Synagoge auf einem Schwein. Auch in Nordhausen und Heilbad Heiligenstadt gibt es ähnliche Motive an oder in Kirchen, die im Mittelalter Juden verspotten sollten.

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