Erfurt. Ein neues Buch beleuchtet vier Jahrzehnte der Stasi in Thüringen. Schon besonders früh setzte man hier auf geheime Informanten.

Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 rollten an der Spitze der DDR-Geheimpolizei Köpfe. Die SED war sauer, dass die Aufpasser die Gefahr nicht erkannt hatten. Die Proteste in über 700 Städten und Gemeinden mit mehr als einer Million Teilnehmern wurden nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für Partei und Sicherheitskräfte zum Trauma. Stasi-Minister Wilhelm Zaisser musste gehen. Von nun an galt die Devise, das Volk buchstäblich an allen Fronten nicht mehr aus den Augen zu lassen, um ein vergleichbares Desaster für die Mächtigen zu verhindern.

Als wichtige Zäsur in der DDR- und Stasigeschichte nimmt der 17. Juni 1953 im neuen Buch „Stasi in Thüringen“ gebührenden Raum ein. In 100 thüringischen Städten und Gemeinden beteiligte man sich damals an den Protesten. Neben Gera war Jena einer der Brennpunkte. 20.000 Menschen versammelten sich auf dem Holzmarkt. Sie stürmten das Gefängnis Am Steiger und besetzten den Stasisitz in der Humboldt-straße.

Gegen 17 Uhr verhängten die Russen den Ausnahezustand. 400 Thüringer wurden nach dem Volksaufstand von Volkspolizei, MfS und Sowjetarmee festgenommen, viele von ihnen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Über den Jenaer Schlosser Alfred Diener verhängte ein sowjetisches Militärtribunal in Weimar das Todesurteil, das bereits am 18. Juni 1953 vollstreckt wurde.

Frühzeitig einen Stab von Informanten rekrutiert

Mit der Veröffentlichung zur Geheimpolizei in den ehemaligen Bezirken Erfurt, Gera und Suhl setzt der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen (BStU) die Reihe seiner Regionalstudien fort. Zum Autorenkollektiv aus Geschichtsexperten und wissenschaftlichen Mitarbeitern der Behörde gehört Sascha Münzel, Historiker in der Außenstelle Suhl. Bereits erschienen sind die Ausgaben „Stasi in Sachsen“ und „Stasi in Sachsen-Anhalt“. Die Länderstudie zu Thüringen wird heute in der BStU-Außenstelle auf dem Petersberg in Erfurt vorgestellt.

Bei der Entstehung des Stasiapparates preschte Thüringen einmal mehr nach vorn. Als politische Polizei und Hilfsorgan der Russen entstand nach 1945 zunächst die „K5“. Deren Thüringer Chef Friedrich Rothschu habe frühzeitig einen Stab von Informanten rekrutiert, allerdings ohne dafür die Genehmigung der Besatzungsmacht einzuholen. Darob verärgert, pfiff die den übereifrigen Tschekisten zwar zunächst zurück. Schon 1948 erteilte Stalin jedoch einer eigenständigen Geheimpolizei die Genehmigung, der nach der DDR-Gründung das Gesetz zur Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) folgte.

Anhand von Schicksalen und Fallstudien zeigt der Länderreport, wie die Stasi fas 40 Jahre lang vorging. Sie sicherte die Zwangsaussiedlungen aus dem Grenzgebiet ab, übernahm die Verfolgung der Jubler beim Brandt-Besuch in Erfurt und knebelte die Mitglieder des Jenaer Kreises um Jürgen Fuchs, die nach der Biermann-Ausbürgerung Unterschriften gegen den Willkürakt sammelten.

Über 50 Stasi-Dienststellen allein in Thüringen

Bespitzelung und Verfolgung richteten sich gegen unangepasste Künstler, Theaterleute und Musiker wie die Erfurter Punkband „Konstruktives Liebeskommando“, gegen komplette Familien wie die Höfelmayrs aus Eisenach, die angeblich eine Republikflucht planten sowie gegen Umweltbewegte wie Michael Beleites, der in der Untergrund-Publikation „Pechblende“ den Uran-Raubbau anprangerte.

Über 50 Stasi-Dienststellen allein in Thüringen listet der Dokumentationsteil im Anhang auf. Als im Dezember 1989 in Erfurt schwarzer Rauch die Stasi verriet, stoppten mutige Bürger die Aktenvernichtung. Trotz Bewaffnung bis unter die Zähne und ausgeklügelter Einsatzpläne für den „Ernstfall“ war der Spitzelapparat faktisch schon am Ende. In Gera blieben die Tschekisten noch bis Anfang Januar Herr im eigenen Haus.

Buchvorstellung zu „Stasi in Thüringen“

  • Das Buch „Stasi in Thüringen“ wird am Donnerstag (21. März), 17.30 Uhr in der BStU-Außenstelle auf dem Erfurter Petersberg vorgestellt.
  • Erhältlich ist die Länderstudie entweder als kostenloser PDF-Download oder als gedruckte Ausgabe unter www.bstu.de/informationen-zur-stasi/publikationen/publikation/stasi-in-thueringen /.
  • Bestellungen auf dem Postweg richten Sie bitte an BStU-Publikationen, 10106 Berlin. Die gedruckte Ausgabe kostet 5 Euro.