Hamburg. Für ihre neue Rolle als Richterin hatte Johanna Gastdorf Inspiration im Privaten. Dort gibt es auch eine Verbindung zum Bundeskanzler.

Zu Beginn ihrer Karriere stand Johanna Gastdorf hauptsächlich auf Theaterbühnen – bis Filmregisseur Sönke Wortmann sie entdeckte und 2003 für eine Rolle im Kinohit „Das Wunder von Bern“ verpflichtete. Seitdem zählt die Hamburgerin zu den meistbeschäftigten Schauspielerinnen Deutschlands. Gastdorf glänzte in Kinofilmen wie „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ oder „Die Welle“ und in TV-Produktionen wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ und dem „Tatort“.

Jetzt ist die 64-Jährige im TV-Justizdrama „Sie sagt. Er sagt.“ (am 26. Februar um 20.15 Uhr im ZDF) nach der Vorlage von Ferdinand von Schirach zu sehen. Im Interview erzählt sie, warum sie sich privat eher weniger für die deutsche Justiz interessiert und welche Kriminalstatistik sie dennoch extrem schockiert hat.

In „Sie sagt. Er sagt.“ spielen Sie eine Richterin. Wie sehr finden Sie Themen wie Rechtswissenschaften und deutsche Justiz auch privat spannend?

Johanna Gastdorf: Nicht übermäßig stark – aber grundsätzlich sind mir die Themen privat trotzdem sehr vertraut: Zwar ist mein Vater, der Jurist war, bereits gestorben, als ich vier Jahre jung war, aber die Leidenschaft für die Juristerei liegt bei uns generell in der Familie. Eine meiner Schwestern war Gerichtspräsidentin am Hamburger Sozialgericht und auch mein Bruder hat Jura studiert, später aber „nur“ eine große Pensionskasse geleitet. Davor hat er gemeinsam mit unserem aktuellen Bundeskanzler Olaf Scholz ein paar Jahre lang eine kleine Kanzlei betrieben.

Wie empfand Ihr Bruder die Zusammenarbeit? Als Kanzler hat Herr Scholz derzeit ja nur wenige Fans.

Gastdorf: Den Erzählungen meines Bruders zufolge ist er ein sehr fähiger Anwalt gewesen. Und auch wenn ich heute ebenfalls nicht der größte Fan von Olaf Scholz bin, so möchte ich trotzdem eine Lanze für ihn brechen: Abgesehen davon, dass derzeit wohl niemand vorhersagen kann, wie lange Scholz noch unser Kanzler ist und wie kritisch die Politik der Ampel auch beurteilt werden mag: Dieses extreme Auf-ihn-Eindreschen und Bashing finde ich nicht in Ordnung! Seinen Job möchte in der aktuellen weltweiten politischen Gemengelage ja wohl niemand ernsthaft gerne haben, bis auf vielleicht diesen einen großen Mann in der CDU – und das ist für mich nicht unbedingt eine erhellende Vorstellung.

Johanna Gastdorf: „Ich war auf einem komplett anderen Weg“

Wieso sind einige Ihrer Geschwister in Papas Fußstapfen getreten und Sie nicht?

Gastdorf: Vielleicht lag es daran, dass ich die Jüngste war. Nach vielen Jahren des Hinterherlebens wurde mir klar, dass ich etwas ganz anderes machen wollte. Warum sollte ich als Kleinste meinen älteren Geschwistern auch noch beruflich hinterhergehen? Ich war auf einem komplett anderen Weg, auch durch den Ballettunterricht, der eine große Rolle in meiner Jugend spielte.

Johanna Gastdorf spielt im ZDF-Film „Sie sagt. Er sagt.“ eine Richterin.
Johanna Gastdorf spielt im ZDF-Film „Sie sagt. Er sagt.“ eine Richterin. © ZDF und JULIA TERJUNG | Julia Terjung

In „Sie sagt. Er sagt.“ erfahren die Zuschauer schockierende Details über Vergewaltigungen und Gewalt in Beziehungen.

Gastdorf: Zum Beispiel, dass 13 Prozent von 10.000 befragten Frauen im Alter zwischen 16 und 85 in Deutschland seit ihrem 16. Lebensjahr sexuelle Gewalt erfahren haben. Laut offizieller Polizeistatistik erleiden jede Stunde 13 Frauen Gewalt in der Partnerschaft. Fast jeden Tag versucht ein Partner oder ehemaliger Partner, seine Frau oder Freundin zu töten. Diese brutal hohen Zahlen waren mir vorher nie bewusst.

Außerdem kommt zur Sprache, dass in Zusammenhang mit dem Thema immer noch diverse Mythen in unseren Köpfen herumspuken.

Gastdorf: Zu viele Menschen haben das Bild im Kopf, dass eine Frau in einem dunklen Park hinter ein Gebüsch gezerrt und dort vergewaltigt wird. Aber nur in den seltensten Fällen ist ein komplett Fremder der Täter. Oft ist es der Lebenspartner, Freund, Ex-Freund. Viel mehr Vergewaltigungen geschehen im engsten privaten Umfeld.

Johanna Gastdorf: Mein Mann und ich beschäftigen uns mit dem Sterben

Was der Film ebenfalls gut aufzeigt, ist die Tatsache, dass es im Leben nicht nur Schwarz und Weiß, sondern viele Grautöne gibt.

Gastdorf: Und diese Grautöne gibt es doch bei allen großen Aufregerthemen, die gerade so hart, kontrovers und leider oft auch intolerant diskutiert werden. Da ist der Film eine gute Inspiration für uns alle. Es geht um das Zuhören und um das Nachfragen. Es ist wichtig, dass wir alle viel mehr Wert auf den Perspektivwechsel legen. Das ist übrigens eines meiner Lieblingswörter, seit ich älter, offener und auch toleranter geworden bin. Ein millionenfach angewandter Perspektivwechsel könnte die Welt retten. Wenn die Menschen dagegen nicht mehr in der Lage sind, auch andere Perspektiven einzunehmen, dann geschieht das, was gerade überall in der Welt passiert.

Sie und Ihr Mann sind seit Jahren ehrenamtlich in einem Hospiz tätig…

Gastdorf: Und deshalb beschäftigen wir uns auch schon länger mit dem Thema Sterben und der eigenen Endlichkeit. Es ist uns wichtig, anderen Menschen dabei zu helfen, Berührungsängste zu verlieren. Ich persönlich möchte irgendwann mit einem leichten Herzen sagen können: Ja, ich habe ein tolles Leben gelebt – aber nun ist es auch gut und ich kann mit einem guten Gefühl gehen!

Wie schwer fällt Ihnen das körperliche Älterwerden?

Gastdorf: Es gibt immer wieder mal Phasen, in denen ich mit meiner Eitelkeit zu kämpfen habe. Es fällt mir manchmal schwer zu akzeptieren, dass mein Körper nicht mehr der ist, der er mal war. Es gibt Momente, in denen ich unter dem körperlichen Älterwerden regelrecht leide. Ich mache aber auch wenig Sport und tue außer Hundespaziergängen bei Wind und Wetter nicht viel gegen den Schwund. Selbst Schuld also.

Ursprünglich wollte Johanna Gastdorf mal Balletttänzerin werden.
Ursprünglich wollte Johanna Gastdorf mal Balletttänzerin werden. © Getty Images | Thomas Lohnes

Warum Johanna Gastdorf unter dem Älterwerden leidet

Haben Sie mal über die Hilfe eines Beauty-Docs nachgedacht?

Gastdorf: Nein, ich möchte ganz bewusst nicht in den Lauf der Natur eingreifen. Ich hätte auch viel zu viel Angst, dass etwas schiefgeht und verrutscht. Das sieht man ja leider auch häufig. Ich bin da wohl gut geerdet und interessiert daran, mein Gesicht nicht zu verlieren. Trotzdem verurteile ich Schauspielkolleginnen nicht, die das machen.

Aus welchem Grund?

Gastdorf: Gerade beim Thema Älterwerden geht die Schauspielbranche mit uns Frauen bis heute oft ziemlich böse um. Die Schönen haben es dabei natürlich noch schwerer, den Status Quo zu erhalten. Optik ist sicher nicht alles, aber ein gewichtiger Faktor! Das sind bedauerlicherweise immer noch – und offenbar auch unter sehr jungen Frauen zunehmend – die Spielregeln in unserer Gesellschaft, auch wenn ich es mir anders wünschen würde. Als Schauspielerin stehst du in der ersten Reihe von denen, die das kalte Wasser dann direkt ins Gesicht bekommen.