Sydney. Der Thwaites-Gletscher in der Antarktis schmilzt und lässt den Meeresspiegel global ansteigen. Ein Finne hat jetzt eine verrückte Rettungsidee.

John Moore war selbst sechsmal in der Antarktis. Wie menschenfeindlich die Region ist, hat er dabei am eigenen Leib erlebt. Einmal blieb er mit seinem Forschungsschiff im Eis stecken, sein Team musste per Eisbrecher gerettet werden. Doch die eisige Region leidet. Vor allem auf einen der gefährdetsten Punkte dieser widrigen Region hält der finnische Gletscher- und Klimaexperte der University of Lappland seit Langem ein Auge: den Thwaites-Gletscher.

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Moore beobachtet seit Jahrzehnten, wie viel Eis der Gletscher über die Jahre abgebaut hat. „Das große Problem ist, dass mehr als 90 Prozent der gesamten Wärme, die sich durch das CO₂ in der Atmosphäre ansammelt, in den Ozean gelangt“, sagt er. Und es gebe keine schnelle Möglichkeit, diese enorme Wärmemenge im Ozean wieder loszuwerden.

Thwaites-Gletscher fast so groß wie Großbritannien

Die Leidtragenden sind die Gletscher. Der Thwaites schmilzt nach neuesten Erkenntnissen vermutlich bereits seit den 1940er Jahren. Schon heute verursacht der Gletscher rund vier Prozent des jährlichen Meeresspiegelanstiegs. Würde der Thwaites, der mit 192.000 Quadratkilometern fast so groß wie Großbritannien ist, komplett kollabieren, würde der Meeresspiegel global um etwa 65 Zentimeter ansteigen. Ein solcher Kollaps könnte in der Folge den gesamten westantarktischen Eisschild destabilisieren.

Der Doomsday-Gletscher ist in etwa so groß wie Großbritannien.
Der Doomsday-Gletscher ist in etwa so groß wie Großbritannien. © AFP | HANDOUT

Schmilzt dieser ebenfalls, so steigt der Meeresspiegel gar um zwei bis drei Meter an. Städte wie San Francisco, New York, Miami, London, Jakarta oder Hamburg würden überflutet werden. Für einige Pazifikstaaten wie Kiribati oder tiefliegende Länder wie die Niederlande oder Bangladesch wären die Folgen so katastrophal, dass einige Medien den Thwaites bereits „Doomsday Glacier“ oder übersetzt „Weltuntergangsgletscher“ getauft haben.

Ein 100 Kilometer langer Vorhang

Moore ist sich dieser Gefahr bewusst und will wie viele seiner Kollegen nicht mehr nur warnen, sondern handeln. Deswegen hat er es sich zusammen mit Kollegen der University of Cambridge zur Aufgabe gemacht, das Abschmelzen des Gletschers zu verlangsamen.

Seine Idee ist, einen etwa 100 Kilometer langen und 200 Meter hohen Vorhang zu installieren, der zu warme Meeresströme vom Gletscher fernhält, durch das der Gletscher derzeit von unten abschmilzt. Wichtig sei, dass die Installation „keinen nennenswerten Schaden“ an ihrer Umwelt anrichte. „Sie muss reversibel sein, falls sich herausstellt, dass dies eine schreckliche Idee ist.“ Deswegen habe er an einen Vorhang statt einer festen, starren Barriere gedacht. Zudem soll der Vorhang schwimmfähig sein – „die Auftriebskraft wirkt also gegen die Druckkraft des Wassers“, erklärt der Experte.

Durch eine gewisse Flexibilität lasse sich verhindern, dass der Vorhang in Stücke gerissen werde, wenn beispielsweise ein schwimmender Eisberg auf ihn stoße. Gleichzeitig müsse der Vorhang aber auch dem Druck standhalten, den das warme Wasser auf ihn ausübe. Als mögliche Materialien kommen laut Moore beispielsweise Leinwände, Glasfaser- und Stahlrohre infrage.

John Moore forscht mit seinem Team zur Rettung des Gletschers.
John Moore forscht mit seinem Team zur Rettung des Gletschers. © John Moore | Santeri Happonen

Plastik will er auf gar keinen Fall einsetzen, um die Natur nicht zu verschmutzen. Moore schätzt, dass ein derartiger Vorhang inklusive Installation rund 50 Milliarden US-Dollar kosten würde. Er ist jedoch optimistisch, dass die 29 Länder des Antarktisvertrags die Rechnung begleichen würden, da der Anstieg des Meeresspiegels nochmals weitaus höhere Kosten aufwerfen würde.

Vorhang als Schutz: Internationale Wissenschaftler zweifeln an Nutzen und Kosten

So überzeugt Moore und seine Kollegen von der Idee sind, so skeptisch reagieren andere Teile der Wissenschaftsgemeinde auf sie. Keith Nicholls von der British Antarctic Survey, der betont, dass er Geo-Engineering grundsätzlich in Erwägung ziehe, fürchtet beispielsweise, dass es für eine derartige Rettungsaktion bereits zu spät ist. „Manche würden sagen, dass wir die Stalltür schließen würden, nachdem das Pferd durchgebrannt ist“, sagt er. „Das heißt, der Gletscher ist bereits auf dem Weg zu einem neuen Stabilitätspunkt, und nichts, was wir an der Grundschmelze ändern können, wird daran etwas ändern.“

Ted Scambos, ein Antarktisforscher der University of Colorado, hat zudem Aufwand und Kosten eines derartigen Projekts im Auge. Betrachte man Moores Ideen im praktischen Sinne, so würden sie bereits „angesichts des schieren Ausmaßes des Problems“ verblassen, meint er: „Eine Eisfläche, die etwa die Größe der Insel Großbritannien hat und von der ein Großteil mehr als eine Meile dick ist; und eine Meeresbucht so groß wie die Ägäis oder die Bassstraße“ – zählt er als Bedenken auf.

Zudem würde sich das Ganze „in der buchstäblich am schwierigsten zu erreichenden Region der Erde“ abspielen, wo jedes Schiff eistauglich sein müsste. „Die Mehrheit der Polarwissenschaftler hält dies weitestgehend für unmöglich, unerwünscht und auf lange Sicht ineffektiv“, erklärt Scambos. „Die einzig ehrliche Lösung besteht darin, unsere Weltwirtschaft so schnell wie möglich zu dekarbonisieren und tatsächlich aktiv Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen.“

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Auch Moore selbst ist sich der Hindernisse durchaus bewusst. Doch der Finne will als Forscher nicht mehr nur mit dem warnenden Zeigefinger agieren. „Ich will etwas tun und dabei den großen Schaden, den die Welt durch den Klimawandel nimmt, eindämmen“, sagt er. Auch wenn eine Umsetzung seiner Idee noch in weiter Ferne sein dürfte, so arbeiten er und seine Kollegen auf Hochtouren, um ihre Machbarkeit nachzuweisen. Neben Computersimulationen führen sie bereits erste Tests in Tanks durch. Als erste größere Experimente sollen Prototypen in einem Fluss in Großbritannien und später in einem norwegischen Fjord folgen.