Erfurt. Beschäftigte sollen Arbeitszeit aufzeichnen: FDP-Landeschef Kemmerich will Bürokratie abbauen. SPD-Wirtschaftsminister Tiefensee verspricht Prüfung der Vorschläge. Schutz der Arbeitnehmerrechte wichtig.

Seit Jahren kämpft Thomas Kemmerich dafür, die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu verbessern. Doch geändert hat sich aus Sicht des Unternehmers und FDP-Landesvorsitzenden bislang kaum etwas. „Überregulierung und Bürokratie bremsen Innovationen und Investitionen“, sagt der Bundestagsabgeordnete im Gespräch mit dieser Zeitung. Umso wichtiger sei es, die Digitalisierung als Chance zu sehen, Verfahren zu vereinfachen und auf diesem Weg Bürokratie abzubauen. „Um den Mittelstand zu stärken, hat die FDP-Bundestagsfraktion jetzt auf Grundlage einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln ‚10 Thesen zur Stärkung von Mittelstand und Handwerk‘ vorgelegt“, sagt Kemmerich.

Kandidaten Stadtratswahl 2019 Platz 1 Thomas L. Kemmerich Unternehmer Erfurt Foto: FDP
Kandidaten Stadtratswahl 2019 Platz 1 Thomas L. Kemmerich Unternehmer Erfurt Foto: FDP © zgt

Unter anderem sollen die Dokumentationspflichten beim Mindestlohn vereinfacht werden und Unternehmen nur die Dauer der täglichen Arbeitszeit dokumentieren, da nur sie für die Lohnabrechnung relevant sei. Bislang müssen Beginn, Ende und Dauer festgehalten werden.

Die Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeitsoll generell „praxisnaher“ ausgestaltet werden und dem Beschäftigten verbindlich übertragen werden.

Die Grenze der Buchführungspflichten soll von 60.000 auf 100.000 Euro Jahresgewinn beziehungsweise von 600.000 eine Million Euro Jahresumsatz angehoben werden. „Durch die Anhebung des Schwellenwertes entlasten wir etwa 1,3 Millionen Unternehmen von Buchführungspflichten mit einem Gesamtvolumen von über 3,2 Milliarden Euro“, schätzen die Freidemokraten.

Die Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege und andere steuerrelevante Unterlagen sollen von zehn auf fünf Jahre verkürzt werden. Werde zudem die Betriebsprüfung zeitnah durchgeführt, könnten auch die Bürokratiekosten bei Verwaltung und Unternehmen um 1,7 Milliarden Euro verringert werden, so Kemmerich.

Damit junge Unternehmen sich auf ihr Geschäft konzentrieren können, sollen Behördengänge so weit reduziert werden, dass eine Gründung innerhalb von 24 Stunden bei einer zentralen behördlichen Anlaufstelle möglich ist.

Zudem müssten Vergabeverfahren länderübergreifend harmonisiert werden, meint Kemmerich. Zum Beispiel durch die Pflicht zur Nutzung einheitlicher Formulare und Formulierungen sowie die stärkere Nutzung der bereits gesetzlich verankerten Möglichkeit, Nachweise in Form von Eigenerklärungen zu verlangen.

Unkomplizierte elektronische Verfahren

Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sieht beim Thema Bürokratie erheblichen Handlungsbedarf. „Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen muss es Entlastungen geben“, sagt er auf Anfrage dieser Zeitung. Deshalb liefen derzeit die Gespräche zur Vorbereitung des von der Bundesregierung geplanten Bürokratieentlastungsgesetzes III. „Thüringen bringt sich hier selbstverständlich aktiv ein, etwa über die Wirtschaftsministerkonferenz.“

Selbstverständlich sollten auch die Vorschläge aus dem FDP-Papier geprüft werden. Ansatzpunkte könnten aus Sicht des Sozialdemokraten Erleichterungen bei Unternehmensgründungen, die Vermeidung von Mehrfacherhebungen gleicher Daten und vor allem die zügige Digitalisierung von Verwaltungsverfahren sein. „Unkomplizierte elektronische Verfahren, mit denen der tägliche Papierkrieg eingedämmt werden kann, bieten erhebliches Potenzial für im Alltag spürbare Entlastungen“, so der Minister. Thüringen arbeite mit Hochdruck daran.

Allerdings sei es auch wichtig, über den Bürokratieabbau den Schutz von Arbeitnehmerrechten und die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards nicht zu vernachlässigen. „Darauf werden wir etwa beim Vergabegesetz selbstverständlich achten. Gerade hier müssen die verschiedenen Ziele genau abgewogen und vernünftig ausbalanciert werden“, sagt Tiefensee. Staatsaufträge, die ja vom Steuerzahler finanziert würden, könnten nur Unternehmen bekommen, die ihre Beschäftigten vernünftig entlohnen. Das sei keine Frage der Bürokratie, sondern der Gerechtigkeit.