Vilnius. Für einen Nato-Beitritt der Ukraine ist es zu früh. Der Westen muss dem Land auf anderem Weg beistehen – schon aus eigenem Interesse.

Der Nato-Gipfel begann mit einem Durchbruch für den Beitritt Schwedens zur westlichen Allianz. Aber das Spitzentreffen in Vilnius könnte ernüchternd enden - für die Ukraine, die ebenfalls Nato-Mitglied werden will, aber nicht so schnell werden darf. Präsident Wolodymyr Selenskyj machte seinem Unmut über die Zögerlichkeit des Westens schon zum Auftakt Luft. Aber so verständlich Selenskyjs Ärger ist – seinen Forderungen kann die Nato jetzt glaubwürdig gar nicht nachkommen.

Klar ist: Russland bleibt eine Bedrohung für die gesamte europäische Sicherheitsordnung, solange Wladimir Putin an seinen imperialistischen Zielen festhält. Der Westen muss die Ukraine nicht nur weiter bei der Verteidigung gegen die russische Aggression unterstützen, er muss ihr auch langfristig beistehen – schon aus eigenem Sicherheitsinteresse. Aber es wäre die falsche Konsequenz, deshalb jetzt einen Nato-Beitritt der Ukraine zu überstürzen. Während des Krieges ist die Aufnahme ins Verteidigungsbündnis sowieso ausgeschlossen – Deutschland und die anderen Nato-Staaten wären dann über Nacht Kriegspartei im Konflikt mit Russland. Aber auch ein von Selenskyj ersehnter Eilbeitritt, sobald die Waffen schweigen, hätte seine Tücken.

Christian Kerl, Korrespondent für EU und Nato.
Christian Kerl, Korrespondent für EU und Nato. © Funke ZrB | Privat

Die Ukraine wird die politischen und militärischen Beitrittskriterien der Allianz so schnell gar nicht erfüllen, vor allem nicht die erforderliche Abwesenheit von territorialen Streitigkeiten. Weil sich die russische Armee bei einem Waffenstillstand sehr wahrscheinlich nicht vollständig aus der Ukraine zurückziehen wird, dürfte der Gebietskonflikt mit Russland weiter schwelen – das schließt Auseinandersetzungen an einer Kontaktlinie ein, in die dann auch Nato-Truppen hineingezogen würden.

Zudem würde ein Automatismus zum schnellen Beitritt einen Anreiz für Putin schaffen, den Ukrainekrieg auf kleiner Flamme fortzuführen, um Kiew den Weg ins Bündnis möglichst lange zu versperren. Schließlich sollte das Gezerre um den schwedischen Nato-Beitritt eine Warnung sein: Der notwendige einstimmige Beschluss der Mitgliedstaaten ist bislang überhaupt nicht in Sicht – die Nato riskiert einen internen Konflikt, der Putin in die Hände spielen würde.

Die Ukraine hat Anspruch auf eine konkrete Perspektive für den Nato-Beitritt

Das alles darf aber nicht heißen, die Ukraine allein zu lassen. Erstens hat das Land einen Anspruch auf eine glaubwürdige und auch zeitlich konkrete Perspektive für die spätere Aufnahme in die Allianz – da muss die Nato jetzt liefern. Es war ein fataler Fehler des Westens, 2008 zwar eine Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen, dann aber bewusst auf die konkrete Umsetzung zu verzichten und auch Waffenhilfen zu versagen. Diesen Schwebezustand verstand Putin als zusätzliche Ermutigung, die Ukraine anzugreifen, bevor das Land unter den Schutzschirm des Westens geschlüpft ist.

Deshalb benötigt die Ukraine zweitens für den Übergang Sicherheitszusagen: Darüber wird im Stillen seit Monaten gesprochen, aber es wird Zeit, dass Deutschland und andere Nato-Staaten jetzt auch konkret werden. Gefragt ist die Garantie für Kiew, dass der Westen dauerhaft und verlässlich mit modernen Waffen, Kampfjets eingeschlossen, mit Militärausbildung und wirtschaftlicher Unterstützung so umfassend hilft, dass sich die Ukraine längerfristig selbst gegen jede mögliche Aggression wehren kann. Das ist auch eine Ansage an Putin: Er spekuliert vergeblich auf eine nachlassende Bereitschaft des Westens, der Ukraine beizustehen. Je eher der Kremlherrscher versteht, dass er in diesem Krieg nichts mehr gewinnen kann, desto besser.

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