Berlin. Die Linke zerlegt sich, jetzt zieht sich auch Fraktionschef Bartsch zurück. Doch ein Ende der Partei wäre schlecht für Deutschland.

Die deutsche Linke – ganz gleich, in welcher Formation sie daherkommt – hat eine lange Tradition darin, sich ausgiebig mit sich selbst zu beschäftigen und sich im Zweifel wichtiger zu nehmen als das Land. So war es bei den linksradikalen Splittergruppen Westdeutschlands der 1970er Jahre, in den Anfangszeiten der Grünen, später bei der SED-Nachfolgerin PDS und sogar immer wieder bei der alten Staatspartei SPD.

So gesehen ist das Spektakel, das die Linkspartei gerade aufführt, ein sehr linkes und sehr konsequentes. Die Partei zerlegt sich auf offener Bühne. Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR und 16 Jahre nach der Fusion der ostdeutsch geprägten PDS mit der westdeutschen Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) scheint es nicht mehr viel zu geben, das die Partei in Gänze zusammenhält.

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Die linke Ikone Sahra Wagenknecht erwägt mit Getreuen die Abspaltung, ihre neue Formation wäre vermutlich dezidiert anti-westlich und linksnationalistisch. Allein die Option, dass Wagenknecht gehen könnte, hat die Linkspartei in eine Existenzkrise gestürzt.

Linke: Fraktionsstatus in Gefahr

Am Mittwoch kündigte nun Fraktionschef Dietmar Bartsch seinen Rückzug an. Er will im September nicht mehr für den Führungsjob im Bundestag kandidieren. Der 65-Jährige sagt, er habe seine Entscheidung schon vor der Bundestagswahl getroffen. Eine Rolle dürfte aber auch spielen, dass der Job ohnehin bald futsch sein könnte: Die Linksfraktion im Bundestag hat 39 Mitglieder. Gehen Wagenknecht und mit ihr mindestens zwei weitere Abgeordnete, wäre der Fraktionsstatus dahin – was mit einem beträchtlichen Verlust an Geld, Posten und Einfluss einherginge.

Politik-Korrespondent Thorsten Knuf Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services
Politik-Korrespondent Thorsten Knuf Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services

Der Pragmatiker Bartsch ist – neben Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow und dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi – einer jener linken Spitzenpolitiker, die die Partei bislang auch für bürgerliche Wähler aus der Mitte wählbar machen. Bartschs Rückzug wird für die Partei kaum zu kompensieren sein. Vor einigen Tagen hatte bereits die Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali, eine Wagenknecht-Vertraute, ihren Abgang angekündigt.

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Für die Zukunft der Linken sieht es ausgesprochen düster aus. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, würde die Partei nach Lage der Dinge sehr wahrscheinlich an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Im kommenden Jahr finden in drei ostdeutschen Ländern Landtagswahlen statt, auch dort ist die Linke in der Defensive. Die Protestpartei des Ostens ist inzwischen die AfD. Wagenknecht hat ihre eigene Partei noch nicht gegründet. Aber sie spekuliert darauf, neben AfD-Wählern auch frustrierte Linke einzusammeln. Das Kalkül könnte aufgehen.

Partei: Ein ungeklärtes Verhältnis zur Macht

Es gibt eine Menge Dinge, die man ganz grundsätzlich gegen die Linkspartei vorbringen kann. Dazu zählen etwa ihr bis heute diffuses Verhältnis zur Marktwirtschaft und zur Westbindung Deutschlands. Es ist auch nicht ganz klar, ob die Partei tatsächlich bereit wäre, überall und ohne Wenn und Aber Verantwortung zu übernehmen. Das setzt parlamentarische Mehrheiten und schmerzhafte Kompromisse voraus, also das Gegenteil der reinen Lehre. Viele in der Linkspartei sind dazu willens und in der Lage, wie diverse Regierungsbeteiligungen in den Ländern zeigen. Viele sind es aber eben nicht.

Richtig ist aber auch: Eine dauerhafte Schwächung der Linkspartei oder gar ihr Ende wären keine gute Nachricht für Deutschland. Die Partei mag mitunter fremdeln mit den Grundkoordinaten der Bundesrepublik. Doch kommt ihr seit drei Jahrzehnten das Verdienst zu, auch Unzufriedene in Ost und West ins demokratische Spektrum einzubinden. Die Linkspartei stabilisiert das Land. Die AfD tut es nicht. Und auch von einer Wagenknecht-Partei wäre das kaum zu erwarten.