Berlin. Söders Reaktion auf die Causa Aiwanger ist richtig. Was wir aus der Debatte für den Umgang mit Populisten und Radikalen lernen können.

Der Aufschrei von links wird groß sein: Ministerpräsident Markus Söder lässt Radikalinski und Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger im Amt. Er hält zu ihm – nach allem, was an antisemitischer Hetze aus Aiwangers Vergangenheit aufkam in den vergangenen Tagen. Nach all dem Lavieren, Abblocken und schamlosen Runterspielen durch Aiwanger selbst.

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Und doch: Die Entscheidung von CSU-Chef Söder ist richtig. Zum einen aus eigenem Interesse, Söders Kabinett geht nicht kurz vor der Wahl in Bayern in die Brüche. Söder will sich weiter mit konservativer Linie gegen die Grünen profilieren, sein Hauptgegner im Wahlkampf. Söder lässt Aiwanger im Amt – auch aus Eigennutz. Wie so oft bei Söder.

Markus Söder hält Hubert Aiwanger trotz Antisemitismus-Vorwürfe im Amt – auch aus Eigennutz.
Markus Söder hält Hubert Aiwanger trotz Antisemitismus-Vorwürfe im Amt – auch aus Eigennutz. © dpa | Sven Hoppe

Aber seine Entscheidung ist auch im Umgang mit Populisten wie dem Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, richtig. Söder entschuldigt nichts, er gibt Aiwanger nicht die Chance, sich mit einem Rauswurf aus der Regierung noch weiter im Opfermythos zu suhlen. Aiwanger muss Reue zeigen, er muss Verantwortung übernehmen für seine Vergangenheit. Der Fokus bleibt auf Aiwanger, auch der Druck.

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Am klügsten in dieser Strategie von Söder ist ein Nebenaspekt: Söder verdonnert Aiwanger zu Treffen und Gesprächen mit jüdischen Gemeinden in Bayern. Söder straft Aiwanger nicht mit Höchststrafe ab, drängt ihn nicht mit einem Rauswurf aus dem Amt – und damit aus der Debatte. Im Gegenteil: Aiwanger muss Sozialarbeit leisten und im Gespräch mit Jüdinnen und Juden in Bayern seine Haltung zum Antisemitismus kritisch hinterfragen lassen.

Causa Aiwanger: Vergleiche mit dem rechtsterroristischen NSU helfen nicht weiter

Denn ob Aiwanger noch Demokrat oder schon Radikaler ist, muss er jetzt selbst belegen. Um den Fall zu bewerten, reicht es nicht, auf das hetzerische Flugblatt aus Aiwangers Schulzeit zu blicken. Allein das Pamphlet beweist kein extremistisches und judenfeindliches Weltbild. Bei manchen konnte der Vergleich nicht empörend genug sein: Das Flugblatt zeige Parallelen zu einem zynischen „Progromly“-Brettspiel, das der rechtsterroristische „Nationalsozialistische Untergrund“ bastelte, der zehn Menschen tötete – als sei Aiwanger schon geistig gefestigt wie eine Gruppe, die sich mit Banküberfällen ein Leben im Untergrund finanziert und Morde plant.

Christian Unger, politischer Korrespondent
Christian Unger, politischer Korrespondent © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Manche Anschuldigungen gegen Aiwanger waren überzogen. Und sie halfen Aiwanger, in ihnen eine „Kampagne“ zu wähnen. Die „Nazi“-Keule machte es Aiwanger leicht. Söder hat das Spiel nicht mitgespielt.

Radikalisierung ist ein Prozess. Vieles kann extreme Ansichten fördern: Lebenskrisen, Brüche in der Biografie, wie eine Trennung der Eltern, Arbeitslosigkeit oder Probleme in der Schule, Drogen und falsche Freunde. Ob ein Mensch Extremist ist, lässt sich nicht aus einer Seite Flugblatt lesen.

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Söder öffnet Hubert Aiwanger eine letzte Tür in Richtung Demokratie

Doch es gibt Hinweise in Aiwangers Jugend, aber vor allem auch in Aiwangers politscher Karriere, die ebenso stark ins Gewicht fallen wie seine Verwicklung in antisemitische Hetze zu Schulzeiten. Die Methode Aiwanger setzt auf Provokation gegen demokratische Gewählte, gegen eine angebliche „Elite“, gegen vermeintlich korrupte Mächtige. Das sind demokratiefeindliche Bilder. Und Aiwanger spielt mit ihnen, zuletzt bei einer Rede im Sommer in Erding im perfekt imitierten AfD-Jargon.

Wie radikal Aiwanger ist, zeigt nicht seine Schulzeit. Der Lackmus-Test ist sein politischer Umgang mit dieser Vergangenheit. Söder öffnet Aiwanger eine letzte Tür in Richtung Demokratie. Aiwanger kann sich der Debatte um ihn nicht entziehen. Er steht unter Beobachtung – und wird sich weiter erklären müssen. Das ist ein klügerer Umgang mit Populisten als: rauswerfen, tabuisieren und abkanzeln.

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