Berlin. Nancy Faeser erlebt einen schwarzen Abend – und ist als Ministerin geschwächt. Doch die Wahl ist auch ein Alarmsignal an den Kanzler.

Für die SPD und Olaf Scholz ist der Wahlausgang ein Desaster. „Es ist für uns ein bitterer Abend in beiden Bundesländern“, sagt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der direkt nach dem Bekanntwerden der ersten Prognosen in der Parteizentrale vor die Kameras musste. In Bayern wie in Hessen erzielte die SPD historisch schlechte Ergebnisse.

In Bayern verfehlte der blasse Spitzenkandidat Florian von Brunn das Ziel eines zweistelligen Resultats deutlich. In Hessen war Bundesinnenministerin Nancy Faeser angetreten, um Boris Rhein als Ministerpräsident abzulösen. Rheins CDU sammelte mehr als doppelt so viele Prozentpunkte ein wie die SPD. „Das Wahlergebnis ist sehr enttäuschend, was auch sonst“, beschrieb Faeser nüchtern die Balkendiagramme. Besonders schmerzhaft für die SPD-Politikerin ist, dass die Hessen-SPD in den ersten Hochrechnungen sogar hinter der AfD lag.

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Hatten die Sozialdemokraten in Bayern kaum mehr erwartet, wiegt das Abschneiden in Hessen besonders schwer – nicht nur für Faeser, die auf ganzer Linie gescheitert ist. Sondern auch für Olaf Scholz und die Bundespartei. „Man muss nicht drumherum reden, das sind zwei Niederlagen für die SPD“, sagte Parteichef Lars Klingbeil und sah darin auch ein Signal nach Berlin.

Faeser und Scholz nach Wahlen angeschlagen

Dass die Sozialdemokraten den Bundeskanzler stellen und die Ampel-Koalition anführen, verschafft ihnen bei Landtagswahlen keine Pluspunkte, im Gegenteil. „Es ist alles überlagert worden von den bundespolitischen Diskussionen“, suchte Bayern-Kandidat von Brunn nach Erklärungen für die Pleite. Das sei ein „wesentliches Problem“ gewesen. Auch Faeser beklagte, mit ihren Themen kein Gehör gefunden zu haben. Im Fall der Hessenwahl kommen jedoch besondere Umstände hinzu, die Scholz und seine Innenministerin Faeser angeschlagen aus dem Wahltag hervorgehen lassen.

Nancy Faeser und Olaf Scholz bei einem Wahlkampfauftritt in Hessen.
Nancy Faeser und Olaf Scholz bei einem Wahlkampfauftritt in Hessen. © dpa | Andreas Arnold

Faesers Pleite wiegt für die SPD besonders schwer

Als Faeser ihre Kandidatur erklärte, feierte man sich in der SPD für die Strategie, die 53-jährige frühere hessische Oppositionsführerin mit einer klaren Aussage in den Wahlkampf zu schicken: Entweder werde sie nach der Wahl Ministerpräsidentin und kehre zurück nach Hessen. Oder sie bleibe eben als Bundesinnenministerin in Berlin, kündigte Faeser selbstbewusst an.

Aus dem SPD-Lager war zuletzt wachsendes Unverständnis über die Strategie zu hören. Klar, hinterher sind alle immer schlauer. Besonders diejenigen, die an den Entscheidungen und Abwägungen nicht beteiligt waren. Mit dem Ausgang der Wahl müssen sich aber die Verantwortlichen inklusive Faeser und Scholz eingestehen: Es ist alles andere als rund gelaufen.

Nancy Faeser: Schöhnbohm-Affäre und Wahlkampf-Pannen

Faesers Kampagne war geprägt von Pannen. Sie musste ein Wahlvideo einkassieren, in dem die SPD raunend den Eindruck erwecken wollte, der bisher mit den Grünen regierende Ministerpräsident Rhein stehe kurz vor einem Pakt mit der AfD. Zudem sorgten peinliche inhaltliche Fehler im Wahlprogramm und die umstrittene Versetzung des ehemaligen Chefs des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm, durch die Bundesinnenministerin für Schlagzeilen.

Die Doppelrolle als Wahlkämpferin und Innenministerin schuf auch auf anderen Feldern Probleme. Während Faeser bei Ortsterminen über ihre Ideen für Hessen sprechen wollte, baute sich die Debatte über die hohen Flüchtlingszahlen auf. Die Überlastung der Kommunen, deren Unterstützung durch den Bund und eine europäische Antwort wurden zu einem der bestimmenden innenpolitischen Themen. Die Beliebtheitswerte der für den Bereich Migration zuständigen Ministerin rutschten deutlich ab. Hinzu kam, dass die Ampel direkt nach der Sommerpause wieder mit politischem Streit startete.

Um ihr Ministeramt muss Nancy Faeser sehr wahrscheinlich nicht fürchten.
Um ihr Ministeramt muss Nancy Faeser sehr wahrscheinlich nicht fürchten. © dpa | Boris Roessler

Olaf Scholz: CDU setzt Kanzler unter Druck

Mit dem desaströsen Ergebnis der Hessen-Wahl steht Faeser geschwächt da, das färbt auch auf Scholz ab. Bereits vor dem Wahltag war darüber spekuliert worden, ob der Druck so groß werden könnte, dass Scholz die Ministerin ablöst. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann machte bereits am Wahlabend Druck: Mitten in einer „Riesenmigrationskrise“ habe die Bundesinnenministerin sich mit Wahlkampf beschäftigt. „Frau Faeser wurde abgestraft“, sagte Linnemann. „Der Bundeskanzler muss sich die Frage stellen, wie lange er sich das noch gefallen lassen kann.“ Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht forderte offensiv Faesers Abberufung: „Auf die Rote Karte der Wähler sollte die Entlassung durch den Kanzler folgen.“

Doch das ist nicht zu erwarten. „Sie hat unseren klaren Rückhalt als Bundesinnenministerin“, betonte Kühnert, auch Klingbeil stellte sich hinter sie. Und Scholz ist loyal zu seinen Leuten – manchmal länger als auch für Parteifreunde verständlich ist. Christine Lambrecht ersetzte der Kanzler erst, als die Verteidigungsministerin die Dauerkritik an ihrer verkorksten Amtsführung selbst nicht mehr ertragen konnte. Es ist also nicht zu erwarten, dass der Kanzler nun ausgerechnet an Faeser ein Exempel statuiert – zumal die Kandidatur in Hessen mit ihm abgesprochen war.

Olaf Scholz brach schon einmal sein Versprechen

Darüber hinaus hat Scholz Personalprobleme. Schon mit der Berufung von Boris Pistorius zu Lambrechts Nachfolger war er von seinem Versprechen abgewichen, das Kabinett paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen. Löst Scholz Faeser ab, stünde er wieder vor Schwierigkeiten. Angesichts der sich vor ihm auftürmenden Krisen von den hohen Flüchtlingszahlen über den Krieg in der Ukraine bis hin zu der explosiven Lage im Nahen Osten nach dem Hamas-Angriff auf Israel dürfte eine Kabinettsumbildung das Letzte sein, was den Kanzler in diesen Tagen beschäftigt.

Aber wie geht es nun weiter mit Scholz und der SPD? Bisher haben die Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken sowie Fraktionschef Rolf Mützenich es weitgehend geschafft, die Ruhe in Partei und bei den Bundestagsabgeordneten zu wahren. Die Bundestagsfraktion forderte zuletzt allerdings einen Industriestrompreis und stellte sich damit gegen den Kanzler. In der SPD wächst die Unruhe im Hinblick auf die Europawahl im Juni 2024 und auf die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg drei Monate später. Alle vier Wahlen sind nicht geeignet, um der SPD ein Jahr vor der Bundestagswahl neuen Schwung zu geben.

Bei der bayerischen SPD ist nach der Wahl niemandem so recht zum Feiern zumute.
Bei der bayerischen SPD ist nach der Wahl niemandem so recht zum Feiern zumute. © dpa | Daniel Karmann

Aus der SPD kommt ein Signal an den Kanzler

Zur Mitte der Legislaturperiode sieht Scholz aus wie ein Abwahlkandidat. Der Kanzler wirkt oft, als gehe ihn der Streit in der Ampel oder das Erstarken der AfD nichts an, als schlafwandele er einer Wahlschlappe bei der Bundestagswahl entgegen. „Olaf Scholz ist ein starker Bundeskanzler“, betonte Klingbeil am Wahlabend. Aus der SPD kam aber das Signal, dass sich was ändern müsse.

„Wir sind natürlich nicht taub und blind“, sagte Kühnert. Alle drei Parteien der Ampel-Koalition hätten in Bayern und Hessen an Zustimmung verloren. „In diesen Wahlergebnissen liegt auch eine Botschaft für uns.“ Klingbeil forderte von der Koalition – wieder einmal – einen anderen Stil und verlangte schnelle Ergebnisse etwa bei den Themen Migration, Mieten, Energiepreise: „Da muss jetzt richtig Tempo rein.“