Berlin. Die Ex-Linke hat ein neues Bündnis. Manche hoffen: Sie hält die AfD klein. Das sagen Experten zur Chance der Wagenknecht-Partei.

Das Bündnis von Sahra Wagenknecht hat ein neues Mitglied: Oskar Lafontaine. Ex-Finanzminister im SPD-Kabinett unter Gerhard Schröder. Eine prominente politische Stimme, und doch ist der Beitritt keine Überraschung – schließlich ist „Lafo“ der Ehemann von Wagenknecht.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht – kurz: BSW – lebt bisher vor allem von einem: den prominenten Gesichtern. Allen voran Wagenknecht selbst. An diesem Wochenende will das BSW bei seinem ersten Parteitag ein Programm für die Europawahl im Sommer beschließen. Im Spätsommer sind Wahlen in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Dort liegt Wagenknecht mit ihrem Bündnis in Umfragen auf Platz 3. Acht Prozent der Wähler würden ihr die Stimme geben. Mit deutlichem Abstand liegt die CDU auf Platz 2. Ganz vorne: die in Teilen rechtsextreme AfD, mit 35 Prozent.

Experte: Bündnis Sahra Wagenknecht ist eine Partei aus der Retorte. Das kann funktionieren

Es ist eine der entscheidenden politischen Fragen in diesem Jahr: Wie wird die AfD abschneiden? Ein Faktor für den Erfolg der AfD ist nun neu: die Partei von Wagenknecht. Die Hoffnung mancher: Die Ex-Linke klaut den Rechten Stimmen – und hält die Partei von Alice Weidel und Co. vor allem im Osten kleiner.

„Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist eine Partei aus der Retorte. Das kann funktionieren, muss aber nicht“, sagt der Politologe Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel im Gespräch mit unserer Redaktion. Im Moment fokussiere sich alles auf Wagenknecht. Die Medienberichte sind zahlreich, die Aufmerksamkeit hoch. „Ihr Gesicht, ihre Rhetorik soll Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit schaffen. In komplexen politischen Zeiten ist das ein Stilmittel, das auch die AfD immer wieder anwendet: vereinfachen, reduzieren, polarisieren“, sagt Schroeder.

Die Führung des neuen Bündnisses: Amira Mohamed Ali, Sahra Wagenknecht und Christian Leye bei der Bundespressekonferenz zur Gründung der Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“.
Die Führung des neuen Bündnisses: Amira Mohamed Ali, Sahra Wagenknecht und Christian Leye bei der Bundespressekonferenz zur Gründung der Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“. © action press | Frederic Kern

Es ist eine gleiche „Anti-Establishment-Stimmung“, die Wagenknecht und AfD bedienen. Wagenknecht habe sich, sagt der Politikwissenschaftler, so manches von der AfD abgeguckt. Aber wählen die Menschen deshalb auch ihr neues Bündnis? Die Umfrage in Sachsen zeigt zumindest, dass Wagenknecht vor allem Stimmen von SPD und AfD holt. Sie hat auch inhaltliche Schnittmengen: Ende der Waffenlieferungen in die Ukraine, Öl und Gas aus Russland sollen wieder fließen, dazu eine harte Asylpolitik an den EU-Außengrenzen.

Wagenknecht ist ein Gesicht des Ostens, selbst in Jena geboren und in der DDR aufgewachsen. Das sei ein Pfund, mit dem sie wuchern könne, sagt der Soziologe Elmar Brähler im Gespräch mit unserer Redaktion. Brähler hat lange zu rechtsextremen Strömungen im Osten geforscht. Die Stimmung in den östlichen Bundesländern aufnehmen und glaubwürdig vertreten – es kann ein Weg gegen den Erfolg der AfD sein.

Inhaltlich setzt Wagenknecht stärker auf die „Klassenfrage“, stellt Forderungen nach Umverteilung in den Vordergrund. Hier unterscheidet sie sich von der AfD, die mit Identitätspolitik Stimmung schüre, sagt Brähler.

AfD-Politikerin sieht „unüberwindbare Gräben“ in der Wirtschaftspolitik

Gerade diese radikale Sozialpolitik verfängt im Osten. Es sind auch die AfD-Ostverbände, die stärker darauf drängen, die soziale Ungleichheit zum Thema zu machen. Doch vor allem im Westen findet das wenig Zuspruch bei AfD-Mitgliedern, ein Dilemma der rechten Partei. Vorstandsmitglied Beatrix von Storch sieht sogar „unüberwindbare Gräben“ in der Wirtschaftspolitik zwischen Wagenknecht und der Wählerschaft der AfD, die die „Lockerung der Schuldenbremse und Steuererhöhungen“ ablehnen würden. Anders als Wagenknecht.

Viele Menschen seien nervös, auch angesichts der diversen Krisen und Konflikte, sagt Experte Schroeder. „Die Stabilität der Gesellschaft droht zu zerbröseln.“ Das würden „politische Unternehmer“ wie Wagenknecht ausnutzen. „Wir nennen es Gelegenheitsstruktur. Das Gelegenheitsfenster für eine erfolgreiche Neugründung ihrer Partei sind die anstehenden Wahlen: erst die Europawahl als Testballon, dann die drei Wahlen in Ostdeutschland.“

Hunderttausende stehen in diesen Tagen auf gegen AfD und Rechtsextremismus.
Hunderttausende stehen in diesen Tagen auf gegen AfD und Rechtsextremismus. © Roberto Pfeil/dpa | Unbekannt

Doch genau diese Unsicherheit hat die AfD bisher für ihre politischen Ziele genutzt – und ist in eine Lücke gestoßen, die einst von der Linkspartei im Osten ausgefüllt wurde: die Kümmerer-Partei. Hier wird die große Schwäche des Wagenknechts-Bündnisses deutlich. Ihr fehlt die Basis, aktive Menschen vor Ort in den Kommunen. Die AfD hat sich hier in den vergangenen Jahren ein Netz bis in die kleinen Gemeinden aufgebaut. Mit ihrer Sammlungsbewegung „Aufstehen“ war Wagenknecht vor einigen Jahren schon einmal mit ihrem politischen Neustart gescheitert. Der Protest verpuffte.

Wer mit Politikerinnen und Politikern in der AfD spricht, hört deshalb auch Gelassenheit. Man sehe Wagenknecht nicht als ernste Konkurrenz, heißt es. Ähnlich bewerten es Politikerinnen der Linkspartei, aus der Wagenknecht ausgetreten ist und auch einige aus der Partei mit sich zog. „Dass der Parteitag in einem Kino stattfindet, sagt viel über die Veranstaltung aus“, sagt Ates Gürpinar, kommissarischer Bundesgeschäftsführer der Linken. „Eine Runde Auserwählter, die das Casting bestanden haben, dürfen der Partei beitreten und sind dennoch nur Statisten für die Inszenierung einer Person, deren Namen die Partei trägt.“

Linken-Politikerin: Die Menschen wählen weiterhin „das blau-braune Original“

Bundestagsabgeordnete Clara Bünger hebt hervor: „Auch wenn das BSW mit seiner Forderung nach Abschaffung des individuellen Asylrechts die aktuelle Ampelpolitik noch rechts überholt, werden die Menschen weiterhin das blau-braune Original wählen.“ In der Forschung sprechen Fachleute von „Issue ownership“: Ein bestimmtes Thema – hier harsche Migration – schreiben die Menschen der AfD zu. Es ist schwer, Hardliner von den Angeboten anderer Parteien zu überzeugen. Wagenknecht wird sich abgrenzen müssen, so wie sie es mit der Steuerpolitik versucht.

Wie erfolgreich das Bündnis vor allem in den AfD-Hochburgen im Osten sein wird, hängt nach Meinung der Fachleute vor allem davon ab, wie schnell sie Mitglieder sammelt und Ortsverbände aufbauen kann. Vor allem Ex-Linke treten offenbar in das neue Bündnis von Sahra Wagenknecht ein. Bundesweit sind es allerdings gerade einmal 450 Mitglieder im BSW. Bei der AfD sind es nach eigenen Angaben 41.000.

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