Berlin. Wahlschlappen drohen den Liberalen 2024 gleich in Serie. Nun wird die Parteispitze hektisch – und versucht, das Profil zu schärfen.

Bei den Freien Demokraten praktizieren sie in diesen Wochen eine Art informelle Arbeitsteilung: Auf der einen Seite werkelt Parteichef Christian Lindner, der als Finanzminister Staatsmann sein muss und besondere Verantwortung für das Fortbestehen der Berliner Ampelkoalition trägt. Auf der anderen Seite wirbelt Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, der öffentlich von einem Bündnis mit der Union träumt und den gegenwärtigen Bündnispartnern SPD und Grüne gern mal einen Tritt in den Allerwertesten verpasst.

Am Montag war es wieder so weit: Nach einer Sitzung des FDP-Präsidiums stellte sich Djir-Sarai vor die Kameras und Mikrofone und teilte ordentlich aus. Stichwort Rente, für die bekanntlich ein sozialdemokratischer Minister zuständig ist: „Noch sehr viel Verbesserungspotenzial.“ Stichwort Steuern, die nach Auffassung der anderen Koalitionspartner notfalls sogar erhöht werden sollten: „Wir sind nach wie vor ein Hochsteuerland.“

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Stichwort Kindergrundsicherung, das Prestigeprojekt der grünen Familienministerin Lisa Paus: „Mit halb fertigen Konzepten in die Öffentlichkeit zu gehen, führt am Ende des Tages nur dazu, dass wir unnötige Debatten haben.“ Es ist offenkundig: Die FDP ist in diesem Superwahljahr damit beschäftigt, ihr liberales Profil zu schärfen. Und zwar notfalls auf Kosten des eigenen und schon ziemlich lädierten Regierungsbündnisses.

Liberale: Die Rente mit 63 gehört abgeschafft

Das Präsidium der Partei verabschiedete am Montag ein Papier mit dem Titel „Leistung und Arbeit müssen sich wieder lohnen“. Das ist, wenn man so will, seit Jahrzehnten der liberale Dauerbrenner. Jetzt soll er helfen, zumindest die Kernklientel an die Partei zu binden und die FDP vor den nächsten Wahlen aus der Todeszone zu holen. Deutschland brauche ein „Wirtschaftswende“, heißt es in dem jüngsten Präsidiumspapier.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ist bei den Liberalen für die Abteilung Attacke zuständig. Er sagt, die grüne Familienministerin Lisa Paus habe nur ein halb fertiges Konzept zur Kindergrundsicherung vorgelegt.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ist bei den Liberalen für die Abteilung Attacke zuständig. Er sagt, die grüne Familienministerin Lisa Paus habe nur ein halb fertiges Konzept zur Kindergrundsicherung vorgelegt. © DPA Images | Serhat Kocak

Derzeit sei das Land nicht wettbewerbsfähig, die Wirtschaft stagniere wie in keinem anderen Industrieland. „Ausufernde Bürokratie, hohe Energiepreise, ein hohes Steuer- und Abgabenniveau sowie der Fachkräftemangel bremsen die deutsche Wirtschaft erheblich aus.“ Die Freien Demokraten fordern die Einführung von Steuervorteilen für geleistete Überstunden. Außerdem müsse die Lohn- und Einkommensteuer automatisch an die Inflation angepasst werden, damit die kalte Progression nicht zuschlage und „Leistungsträger“ nicht durch heimliche Steuererhöhungen „abgestraft“ würden.

Spezielle Steueranreize sollen Deutschland zudem attraktiver für ausländische Fachkräfte machen. Der Renteneintritt solle flexibilisiert werden und die Rente mit 63 wegfallen. Außerdem müssten die Berechnungsmethode des Bürgergeldes auf den Prüfstand gestellt und die Sanktionen gegen Totalverweigerer verschärft werden. All das sind Forderungen, mit denen man SPD und Grüne ordentlich piesacken kann. Sie dürften die Linie vorgeben für den FDP-Bundesparteitag Ende des Monats in Berlin.

Lindner: „Es gibt keinen Blankoscheck in der Politik“

In den vergangenen Tagen hatten die Liberalen die Grünen bereits beim Thema Kindergrundsicherung vor sich hergetrieben. Am Montag legte Djir-Sarai noch einmal nach: „Eine Bringschuld des Staates, wie Frau Paus das definiert bei Sozialleistungen, sehe ich nicht.“ Im Koalitionsvertrag sei vereinbart, bestehende Familienleistungen zu bündeln, um Kinder aus der Armut zu holen – „nicht mehr und nicht weniger“. Es sei niemals das Ziel gewesen, Geld in eine neue Behörde und mehr Verwaltung zu investieren. Paus hatte zwischenzeitlich 5000 neue Stellen für die Verwaltung der Kindergrundsicherung verlangt, rückte davon aber wieder ab.

Streit um Kindergrundsicherung: FDP auf Konfrontationskurs

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    Nicht einmal ein vorzeitiges Ende der Koalition wollen die Liberalen explizit ausschließen. So war jedenfalls Parteichef Christian Lindner am Sonntagabend in der ARD zu verstehen. Auf die Frage, ob er einen Ausstieg aus der Ampel plane, sagte er: „Es gibt keinen Blankoscheck in der Politik.“ Andernfalls wäre er doch erpressbar. Ende des vergangenen Jahres hatte sich bei einer FDP-Mitgliederbefragung nur eine knappe Mehrheit dafür ausgesprochen, das Bündnis mit SPD und Grünen fortzusetzen.

    FDP: Gewerkschaften gegen steuerliche Begünstigung von Überstunden

    Wie groß die Not für die Liberalen ist, zeigt ein Blick auf aktuelle Umfragen. Wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre, müssten sie damit rechnen, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Allein das dürfte die Berliner Ampelkoalition bis auf Weiteres stabilisieren. Der nächste Bundestag wird regulär erst im Herbst 2025 gewählt. Dafür stehen im laufenden Jahr gleich mehrere Urnengänge an. Bei allen droht den Freien Demokraten ein Debakel: zunächst bei der Europawahl im Juni, später dann bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.

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    Ob sich SPD und Grüne auf Debatten mit der FDP über deren jüngste Vorschläge für eine „Wirtschaftswende“ einlassen, wird man sehen müssen. Mächtige Akteure zeigten den Liberalen am Montag schon einmal die kalte Schulter – und zwar die Gewerkschaften. Auf die Frage, was sie vom FDP-Vorschlag halte, Überstunden steuerlich zu begünstigen, sagte DGB-Chefin Yasmin Fahimi unserer Redaktion: „Verrückte Ideen wie steuerfreie Überstunden laden gerade dazu ein, entweder Vollzeitarbeit zu verdrängen oder die geschlechterungleiche Verteilung von Arbeit noch weiter anzukurbeln.“

    Im vergangenen Jahr seien in Deutschland mehr als 1,3 Milliarden Überstunden geleistet worden, weit mehr als die Hälfte davon sei unbezahlt gewesen. Und Verdi-Chef Frank Werneke sagte, anstatt Überstunden und Zuschläge steuerfrei zu stellen, wäre es sinnvoller, wenn die Arbeitgeber von vornherein so viel zahlten, dass Überstunden für Beschäftigte attraktiv seien und der Staat weiterhin Einnahmen erziele. „Andernfalls erodiert die Einnahmebasis des Staates immer weiter.“