Berlin. Der Verkehrsminister will ein Gesetz, das ihm mehr Spielraum lässt. Doch nichts spricht dafür, dass er es für Klimaschutz nutzen wird.

Volker Wissing mag den abstrakten Begriff vom „Verkehrssektor“ nicht. Der Verkehrssektor, sagte er kürzlich im Gespräch mit dieser Redaktion, „das sind wir alle“. Menschen, die einkaufen gehen würden, zur Arbeit fahren oder zum Arzt. Das ist richtig, aber nicht vollständig. Denn wenn es darum geht, welchen Einfluss der oder die Einzelne darauf hat, wie viele CO₂-Emissionen im Verkehr ausgestoßen werden, dann sind manche von uns eben doch ein bisschen mehr „der Verkehrssektor“ als andere. Der zuständige Minister zum Beispiel, also: Volker Wissing.

Für den steht am Montag ein absehbar unangenehmer Termin an. Dann nämlich wird der Expertenrat für Klimafragen seinen Prüfbericht der Emissionsdaten für 2023 vorlegen. Und der Expertenrat wird, ohne Rücksicht auf Wissings Abneigung gegen den Begriff, den ganzen abstrakten Verkehrssektor als solchen beurteilen – und zu dem Schluss kommen, dass der 2023 mehr Emissionen ausgestoßen hat, als er nach Klimaschutzgesetz gedurft hätte. Schon wieder.

Nach geltendem Klimaschutzgesetz wird der Expertenrat dann sehr wahrscheinlich feststellen, dass Volker Wissing (ebenso wie Bauministerin Klara Geywitz) innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen muss, um den Sektor auf den richtigen Kurs zu bringen.

Wissing hätte Maßnahmen ergreifen können, er hat es nur nicht getan

Richtig ist, dass diese Maßnahmen einschneidend sein müssten, um in kurzer Zeit die festgelegten Ziele zu erreichen – mit kleinen Änderungen ist es im Verkehrssektor längst nicht mehr getan. Die Lücke ist groß und wird absehbar jährlich größer. Bis 2030 droht der Verkehrssektor laut Umweltbundesamt satte 180 Millionen Tonnen Treibhausgas zu viel einzusammeln.

Theresa Martus ist Politik-Redakteurin in der FUNKE Zentralredaktion.
Theresa Martus ist Politik-Redakteurin in der FUNKE Zentralredaktion. © Funke Foto Services | Reto Klar

Aber Wissings Lamento, dass das Korsett des Gesetzes in seiner aktuellen Form zu eng ist, um sinnvolle Verkehrspolitik zu machen, wäre glaubwürdiger, wenn man in den gut zweieinhalb Jahren, in denen er nun Minister ist, den Eindruck gewonnen hätte, dass er das wenigstens versucht.

Denn die Verfehlung der Ziele kommt wiederholt und mit Ansage. Und mit Ausnahme des 49-Euro-Tickets und der höheren CO₂-Komponente bei der LKW-Maut bestand die Antwort des Ministers auf die Kollision mit dem Gesetz bisher im Wesentlichen darin, auf die Änderung des Gesetzes zu dringen.

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Dabei ist das Schreckgespenst „Fahrverbote“, das er jetzt aufruft, natürlich bei Weitem nicht die einzige Maßnahme, zu der er hätte greifen können. Er hat es nur nicht getan.

Abschaffung von Subventionen für Verbrenner? Fehlanzeige. Selbst das Dienstwagenprivileg, von dem vor allem Gutverdiener profitieren, wird nicht angetastet. Umgekehrt noch mehr Anreize, um umzusteigen auf Mobilitätsformen, die weniger oder kein CO₂-Ausstoß verursachen? Gibt es auch nicht, kein Geld im Haushalt. Ein Tempolimit auf Autobahnen schließt der FDP-Minister sowieso aus, mit der Begründung, dafür gäbe es keine Unterstützung in der Bevölkerung, obwohl Umfragen immer wieder das Gegenteil sagen.

Volker Wissing: Die Konsequenzen dieses Amtsverständnisses tragen andere

Die Konsequenzen dieses bemerkenswerten Amtsverständnisses werden andere tragen müssen – politisch, wenn Wissings Nachfolgerinnen und Nachfolger vor dem Problem stehen wird, dass der Verkehrssektor für einen immer größeren Teil der deutschen Emissionen verantwortlich ist, und die Zeit, das zu ändern, immer knapper wird. Physikalisch sowieso, in Form des fortschreitenden Klimawandels.

Wissing dagegen wird Spielraum erhalten, wenn die Ampel-Koalition absehbar das Klimaschutzgesetz ändert. Es deutet nichts darauf hin, dass der Minister ihn im Sinne des Klimaschutzes nutzen wird.