Kiew/Berlin. Der Beschuss durch Drohnen hinterlässt Spuren in Kiew. Auch der Bürgermeister ruft nach Vergeltung – und scheint sie zu erhalten.

Ballistische Raketen, Kampfdrohnen Marschflugkörper: Die aktuelle Welle der massiven russischen Angriffe auf Kiew dauert zwar schon seit Ende April an, inzwischen wird die Hauptstadt der Ukraine im Schnitt aber nicht mehr jeden zweiten Tag, sondern mehrmals täglich beschossen. Erst am Montagmittag hatte es einen Angriff mit insgesamt elf Iskander-Raketen gegeben, in der Nacht auf Dienstag fing die Flugabwehr dann erneut 29 russische Kampfdrohnen iranischer Herkunft über die Ukraine ab - mehr als 20 davon über Kiew.

Ukraine-Krieg: Beschuss verändert Verhalten der Bevölkerung

Der jüngste russische Beschuss blieb nicht folgenlos – trotz lauter Abschussversuche teils mit einfachen Maschinengewehren und über zitternde Hauswände hinweg. In sechs von zehn Stadtteilen Kiews wurden Beschädigungen durch herabgefallene Drohnentrümmer registriert.

Am stärksten betroffen war der Stadtteil Holosijiwskyj im Süden, in dem die Trümmer die oberen zwei Stöcke eines Hochhauses trafen. Ein Zivilist starb dabei, elf weitere wurden verletzt - fünf von ihnen mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Ein weiterer Verletzter wurde aus einem anderen Stadtteil gemeldet.

Der jüngste Drohnenbeschuss markiert bereits den 18. Angriff in der aktuellen Welle. Im Alltag Kiews zeigen sich die Folgen nicht nur in der allgemeinen Müdigkeit der Menschen infolge dreier schlafloser Nächte. Vor allem der Iskander-Beschuss an einem ganz normalen Arbeitstag hat das Verhalten der Kiewer verändert: Bei Luftalarmen sind die als Schutzkeller dienenden U-Bahnhöfe wieder so voll wie zu Beginn des Krieges.

Immer mehr Geschäfte und Restaurants wollen während des Alarms schließen. "Am anderen Ende unserer Straße ist die Hälfte der Fenster weg", schildert etwa Anastasija, Managerin eines Restaurants im zentralen Stadtteil Podil. "Ich kann die Sicherheit meiner Gäste unter diesen Umständen nicht riskieren."

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Spekulationen über neuartige ukrainische Drohnen

Am Rande der Angriffe wendete sich der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko am Montagabend im ukrainischen Fernsehen an den Befehlshaber der Armee, Walerij Saluschnyj: "Was ich nicht verstehen kann: Wenn die Russen das Leben in der Hauptstadt der Ukraine zum Albtraum machen können, warum ruhen sich die Bewohner Moskaus aus?". Auch der Chef des ukrainischen Militärnachrichtendienstes, Kyrylo Budanow, drohte am Montag indirekt mit einer Antwort an Russland. Wenig überraschend kam deshalb die Nachricht, dass am frühen Dienstagmorgen Drohnen in der Region um Moskau gemeldet wurden.

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Während russische Telegram-Kanäle zunächst über mehr als 30 Drohnen berichteten, meldete das russische Verteidigungsministerium nur acht Drohnen. Fünf seien durch die Flugabwehr abgefangen worden, drei konnten offenbar fehlgeleitet werden. Vermutlich waren das die Drohnen, die drei Wohnhäuser in Moskau trafen. Kiew wies die Verantwortung für den Vorfall mit Sarkasmus zurück. "Wir befinden uns im Zeitalter der künstlichen Intelligenz. Eventuell sind nicht alle Drohnen bereit, die Ukraine anzugreifen, sondern kehren zu ihren Entwicklern zurück und fragen sie: Warum schickt ihr uns in die Ukraine?", erklärte Mychajlo Podoljak, Berater des Präsientenbüros, in einer Frühstückssendung auf Youtube.

Auch wenn er eine Beteiligung an den Angriffen bestreitet, gibt es Spekulationen, wonach für den Angriff die vor zwei Jahren präsentierten ukrainischen Drohnen UJ-22 Airbone benutzt wurden. Sie haben eine Reichweite von bis zu 800 Kilometern. Sollte die Ukraine tatsächlich hinter den Angriffen stehen, könnte der militärische Zweck – neben dem psychologischen Effekt – ein ähnlicher wie beim russischen Beschuss Kiews sein: Die Bindung von weiteren Flugabwehrsystemen an die russische Hauptstadt statt an die Front.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt