Berlin. Wer einen Therapieplatz sucht, braucht starke Nerven. Digitale Angebote könnten Teil der Lösung sein – doch viele Kassen blockieren.

Rund 17,8 Millionen Deutsche sehen sich jedes Jahr mit einer psychischen Erkrankung konfrontiert. Viele brauchen professionelle Hilfe – doch die ist nicht leicht zu finden. Die Praxen sind voll, viele Patienten verzweifeln bei der Suche nach einem Therapieplatz oder landen auf Wartelisten. Abhilfe sollen Online-Therapieprogramme schaffen, die flexibel und unabhängig von Zeit und Ort genutzt werden können. Zwei neue Gesetzesvorhaben im Gesundheitsbereich sollen den Weg für digitale Gesundheitsanwendungen ebnen.

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Psychotherapie: Lange Wartezeiten sind die Norm

Lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz werden vor allem durch die Vergabe von Kassensitzen für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten beeinflusst. Die Bedarfsplanung legt die Anzahl und die räumliche Verteilung der Psychotherapeuten im Land fest. Das Problem: Die erste Bedarfsplanung wurde 1999 eingeführt und seitdem nicht mehr verändert.

Dadurch hat sich der Mangel an Therapieplätzen angesichts der stetig steigenden Zahl behandlungsbedürftiger Patientinnen und Patienten weiter verschärft. Ein Bericht des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) hat für das Jahr 2019 einen Bedarf von bis zu 2.400 zusätzlichen Kassensitzen ermittelt, um den Wartezeiten auf eine Psychotherapie entgegenzuwirken. Grund dafür war unter anderem die Corona-Pandemie.

„Apps auf Rezept“ werden immer beliebter

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) gewinnen bei der Unterstützung der Bewältigung psychischer Erkrankungen zunehmend an Bedeutung – insbesondere vor dem Hintergrund langer Wartezeiten auf Psychotherapie und fehlender Therapieplätze. Eine DiGA ist eine App, die zur Unterstützung einer Therapie verordnet wird – sozusagen eine App auf Rezept.

In Deutschland werden solche Anwendungen vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen. Der Weg von der Entwicklung bis zur EU-Konformitätsprüfung und Zertifizierung dauert allerdings rund fünf Jahre. Erst dann ist eine App als Medizinprodukt anerkannt, verordnungsfähig und erstattungsfähig. Derzeit sind in Deutschland 55 DiGAs vom BfArM zugelassen und in den Erstattungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen.

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Therapieverzögerung durch Krankenkassen

Dennoch häufen sich die Beschwerden von DiGA-Herstellern, die von zahlreichen Problemen mit den gesetzlichen Krankenkassen berichten. So sollen Krankenkassen immer wieder versucht haben, Patienten den Zugang zu digitalen Behandlungsmöglichkeiten zu erschweren oder ganz zu verwehren.

Die „Frankfurter Rundschau“ berichtete kürzlich über eine anonymisierte Datenauswertung der DiGA-Unternehmen, die ergeben habe, dass es im Durchschnitt 19 Tage dauere, bis Patienten mit einem freigeschalteten Rezept DiGA nutzen könnten. Die langsamste Kasse brauche im Schnitt 31 Tage, also einen ganzen Monat, bis 80 Prozent der Rezepte freigeschaltet seien. In der Folge blieben viele Patienten mehrere Wochen ohne Behandlung.

Bundestag: Neue Gesundheitsgesetze sollen Macht der Krankenkassen einschränken

Vor diesem Hintergrund will die Ampel-Koalition zwei neue Gesetze im Gesundheitswesen verabschieden. Konkret geht es um die das Digitalisierungsgesetz (DigiG) und das Gesetz zur Nutzung von Gesundheitsdaten. Beide Gesetze sollen nicht nur die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben, sondern greifen auch in die Befugnisse der gesetzlichen Krankenkassen ein.

Nun soll diskutiert werden, wie der Umgang der Krankenkassen mit DiGAs neu geregelt werden könnte, berichtet „Ippen.Media“. Entweder müssten die Kassen künftig DiGA-Rezepte innerhalb einer bestimmten Frist für ihre Versicherten freischalten. Oder die Kassen schalten die Rezepte gar nicht mehr frei – sondern die Hersteller der Apps selbst. Letzteres fordert auch der Spitzenverband der DiGAs.