Berlin. Die AfD liegt in Umfragen weit vorne. Sie gewinnt Wähler von der CDU. Parteichef Friedrich Merz muss handeln, um sich abzugrenzen.

Seit die AfD in Umfragen auf 18 Prozent kommt und damit gleichauf mit der Kanzlerpartei SPD liegt, ist das Land alarmiert: Wer ist Schuld am Höhenflug der Rechten? Die Ampel und ihr Streit um den Klimaschutz? Die Union, die sich selbst den Auftrag gegeben hatte, die AfD zu halbieren? Vor allem bei der CDU herrscht Ratlosigkeit. Warum bloß finden immer weniger Wähler bei den Christdemokraten eine konservative Heimat? Und was passiert, wenn es bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr schwer wird, Mehrheiten jenseits der AfD zu bilden?

Mit Blick auf das Umfragehoch der AfD verbreitete CDU-Parteichef Friedrich Merz am Wochenende die Erklärung, dass „mit jeder gegenderten Nachrichtensendung ein paar hundert Stimmen mehr für die AfD“ anfallen.

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CDU-Vize Karin Prien erwiderte: „Die Union sollte sich nicht auf Nebenkriegsschauplätzen verkämpfen.“ Auch Sprachwissenschaftler Roland Kaehlbrandt sieht den Zuspruch zur AfD nicht in der Gender-Debatte begründet, auch wenn „das Gendern immer wieder Streitthema ist“.

Die meisten AfD-Wähler waren vorher nicht zur Urne gegangen

Woher kommt also dann die große Unterstützung für die AfD? Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat verglichen, welche Partei die heutigen AfD-Anhänger zuvor gewählt haben. Ergebnis: der meiste Zuspruch kommt 2023 von früheren Nichtwählern (32 Prozent) oder Wählern, die vorher den „sonstigen Parteien“ (zehn Prozent) ihre Stimme gaben, darauf folgen ehemalige Wähler der CDU/CSU (24 Prozent). In den vorherigen Untersuchungen (2021, 2017) wanderten noch mehr der AfD-Wähler aus dem Nichtwähler-Lager zu und die Zuwanderung aus der Union war noch größer.

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Das Erstarken der AfD sei aber kein Problem, das die Union alleine beheben müsse, warnt der Leipziger Politikwissenschaftler Hendrik Träger: „Alle Parteien müssen sich Gedanken machen, wenn es nach den Landtagswahlen 2024 keine anderen regierungsfähigen Optionen ohne die AfD gibt.“ Schmieden die demokratischen Parteien dann eine Mehrheit, um die möglicherweise stärkste Partei AfD herum, sei es besonders wichtig, dass die Zusammenarbeit nicht so wirkt, als forme man nur eine „AfD-Verhinderungskoalition“, sagt Träger.

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Alle Parteien müssen stärkere eigene Ideen entwickeln und kommunizieren

Damit wieder mehr Bürger den demokratischen Parteien ihre Stimme geben, sollten diese ihre Kommunikation bis zum Wahlkampf ändern, rät Träger: „Den Fokus auf die AfD zurückfahren. Stattdessen müssen die anderen Parteien den Wählern inhaltlich etwas bieten.“

CDU-General Mario Czaja will denen, die sich gerade von der Politik und ihren Institutionen abwenden, wieder eine politische Heimat in der CDU geben.
CDU-General Mario Czaja will denen, die sich gerade von der Politik und ihren Institutionen abwenden, wieder eine politische Heimat in der CDU geben. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

In diesem Punkt geht CDU-Generalsekretär Mario Czaja kritisch mit seiner Partei ins Gericht: „Es ist uns als Union in den letzten Monaten noch zu wenig gelungen, Vertrauen aufzubauen. Wir müssen und werden besser darin werden unsere politischen Alternativen zur Politik der Bundesregierung, vom Klimaschutz über die Krankenhausplanung bis zur Migrationspolitik, deutlich zu machen.“

Johannes Winkel, Bundesvorsitzender der Jungen Union, will, dass die CDU als Partei den „Sound von Optimismus“ versprüht.
Johannes Winkel, Bundesvorsitzender der Jungen Union, will, dass die CDU als Partei den „Sound von Optimismus“ versprüht. © dpa | Boris Roessler

Der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, fordert eine neue Migrationspolitik mit einer Willkommenskultur für Fachkräfte und eine „moderne Familienpolitik, die Anreize für Kinder und Karriere durch ein Familiensplitting im Einkommenssteuerrecht nach französischem Vorbild“ schafft.

Kein Wähler glaubt unbezahlbare Forderungen aus der Opposition

Im Kampf gegen die AfD sei es wichtig, dass die anderen Parteien ihre Ziele realistisch umsetzbar, glaubhaft und nachhaltig formulierten, sagt Politikwissenschaftler Träger. Und: Die Aussagen und das Handeln der bekannten Köpfe der Parteien sollten ein einheitliches Bild abgeben. Träger bringt als Beispiel die CDU: „Es kann nicht der Generalsekretär Czaja eine Großstadtpartei etablieren wollen und gleichzeitig der Parteivorsitzende Merz an die Wähler auf dem Land appellieren.“

Hendrik Träger, Politikwissenschaftler der Universität Leipzig, forscht zu den möglichen Koalitionsoptionen nach den nächsten Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen.
Hendrik Träger, Politikwissenschaftler der Universität Leipzig, forscht zu den möglichen Koalitionsoptionen nach den nächsten Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen. © picture alliance / dpa | Sebastian Willnow

Der Forscher beschäftigt sich aktuell mit der Frage, wie schwierig die Regierungsbildung in den ostdeutschen Ländern nach den Wahlen 2024 wird. Dazu werteten Träger und seine Kollegen zahlreiche Umfragen seit 2019 aus: „Die Situation in Brandenburg ist komfortabler, in Thüringen wird es am schwierigsten.“ Dort sind die Linkspartei und die AfD stark, eine Koalition zwischen beiden ist aber nahezu ausgeschlossen. Dabei hätten die beiden Parteien in 90 Prozent der Umfragen eine Mehrheit. In zwei Drittel der Sonntagsfragen hätte auch eine Koalition aus Linken und CDU die Mehrheit, die aktuelle rot-rot-grüne Minderheitsregierung hatte nur in 13 von 30 Umfragen eine Mehrheit. In Sachsen hätte die Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen laut den Umfragen in sieben von acht Fällen eine Mehrheit. Aber immer wäre auch eine Koalition aus CDU mit der AfD möglich.

CDU-Chef Merz macht es seinen Parteifreunden im Osten nicht leicht

Das stellt die Merz-Partei vor die Frage: Wie umgehen mit der AfD? Der CDU-Chef bekräftigte am Wochenende: „Solange ich Parteivorsitzender der CDU bin, wird es keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben.“ Die Grundlage dafür stammt noch aus der Zeit vor Merz. Auf dem Parteitag im Dezember 2018 fassten die Mitglieder den Beschluss, dass „die CDU Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit (...) mit der Alternative für Deutschland ablehnt.“

ParteiChristlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)
Gründung26. Juni 1945
IdeologieChristdemokratie, Konservatismus, Liberalismus, Europäische Integration
VorsitzenderFriedrich Merz (Stand: Dezember 2023)
Fraktionsstärke152 Abgeordnete im Bundestag (Stand: Dezember 2023)
Bekannte MitgliederAngela Merkel, Ursula von der Leyen, Jens Spahn

Doch was, wenn die politischen Realitäten vor Ort eben so bleiben, wie es gerade aussieht und die AfD in Thüringen mit 28 Prozent oder mehr stärkste Kraft wird? „Die Bundesebene der CDU muss sich klar werden, ob sie sich weiterhin gleichermaßen sowohl nach links als auch zur AfD abgrenzt, oder ob sie den Landesverbänden einen gewissen Spielraum lässt“, sagt Träger. Mit dem fünf Jahre alten Beschluss lege die Führung ihren ostdeutschen Parteifreunden „praktisch Fußfesseln an“. Er führt zur Orientierung den Umgang der SPD mit der PDS in den 1990ern an, als eine Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt auf die Duldung der PDS angewiesen war. Die CDU machte damals mit der Rote-Socken-Kampagne Stimmung gegen die SPD. Der CDU würde ein ähnliches Schicksal drohen, wenn Merz auch nur einen Stein aus der Brandmauer gegen die AfD herauszieht.

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Neuwahlen oder Zusammenarbeit? Die Parteien müssen Wege finden

Die Alternative wären nach den Landtagswahlen im Osten gegebenenfalls Neuwahlen mit ungewolltem Ausgang, so Träger. „Die führenden Köpfe können sich schlecht am Wahlabend vor die Bevölkerung stellen und sagen: ,Es ist interessant, wie Sie gewählt haben, das machen wir in 60 Tagen noch einmal‘.“ Damit würde man Parteien stärken, die man nicht stärken wolle.

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