Brüssel. Absage vor dem Nato-Gipfel: Warum die Allianz Präsident Selenskyj weiter vertröstet. Akzeptiert die Ukraine ein Kompromiss-Angebot?

Bittere Enttäuschung für die Ukraine drei Wochen vor dem Nato-Gipfel in Vilnius: Ein schneller Beitritt des Landes zur Nato steht nicht mehr zur Diskussion. Die Allianz werde die Ukraine bei dem Gipfel nicht zur Mitgliedschaft einladen, stellte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag nach einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel klar. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der an dem Gipfel teilnehmen wird, hatte in den vergangenen Tagen wiederholt eine solche Einladung für den raschen Beitritt gefordert und war darin von Polen und den baltischen Staaten unterstützt worden.

Doch große Nato-Staaten wie die USA, Deutschland und Frankreich haben Bedenken, weil sie eine Verschärfung der Spannungen mit Russland befürchten und auch nicht absehbar ist, unter welchen Bedingungen der Ukraine-Krieg enden wird. Eine Aufnahme der Ukraine noch während des Krieges gilt ohnehin als nicht möglich, weil das Land dann unter Berufung auf Artikel fünf des Nato-Vertrags militärischen Beistand von den Mitgliedstaaten verlangen könnte, wie Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in Brüssel deutlich machte. In einem solchen Fall wäre die Nato „unmittelbar Kriegspartei“. Das komme nicht in Frage, so Pistorius.

Trostpflaster für die Ukraine: Nato will späteres Beitrittsverfahren verkürzen

Allerdings will die Nato der Ukraine neue Angebote unterhalb der Bündnis-Aufnahme machen: Praktisch schon beschlossen ist ein neuer Nato-Ukraine-Rat, in dem Kiew auf Augenhöhe mit den anderen Nato-Staaten beraten und Entscheidungen treffen soll, vor allem zur Vorbereitung auf die spätere Mitgliedschaft. Stoltenberg sagte, dies werde eine andere Form der Zusammenarbeit als bisher in der Nato-Ukraine-Kommission: Die Ukraine sei nicht mehr nur Gast, sondern erhalte einen gleichberechtigten Platz am Tisch der Allianz. Die erste Sitzung solle während des Nato-Gipfels mit Präsident Selenskyj stattfinden.

Zusätzlich ist jetzt im Gespräch, das spätere Beitrittsverfahren zu verkürzen: Die Ukraine müsste nach einer formellen Einladung nicht mehr einen mehrjährigen Aktionsplan zur Mitgliedschaft durchlaufen. Pistorius sagte, eine Zustimmung zu dem Vorhaben durch alle Mitglieder beim Gipfel sei wahrscheinlich. Auch Deutschland sei offen für das Vorhaben.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. © AFP | SIMON WOHLFAHRT

Stoltenberg bekräftigte in Brüssel mehrmals, alle Nato-Partner seien sich einig, dass die Ukraine Nato-Mitglied werden solle: „Die Tür der Nato steht offen.“ Dies hatte das Bündnis bereits 2008 beschlossen, aber ausdrücklich darauf verzichtet, auch schon das Beitrittsverfahren zu starten. Nun setzt die Allianz offenbar auf einen fließenden Übergang: So soll als Teil der Vorbereitung die Anpassung der militärischen Ausrüstung auf Nato-Standard vorangetrieben werden; bislang ist erst knapp ein Drittel der ukrainischen Waffen kompatibel mit westlicher Rüstung. Mit der Anpassung an den Nato-Standard „kommt die Ukraine praktisch näher“, erklärte Stoltenberg.

Zusage beim Nato-Treffen: Ukraine erhält weitere Luftabwehr-Waffen

Bei dem Ministertreffen machten Nato-Staaten der Ukraine zudem neue Zusagen für Waffenlieferungen: Nachdem alle bislang vom Westen versprochenen Gefechtsfahrzeuge geliefert wurden, darunter 230 Kampfpanzer, geht es jetzt vor allem um Artilleriemunition und Luftabwehrraketen, die auch noch für die laufende Gegenoffensive bereitstehen sollen. Deutschland wird der Ukraine innerhalb weniger Wochen 64 weitere Lenkflugkörper für Luftverteidigungssysteme vom Typ Patriot zur Verfügung stellen, kündigte Pistorius an.

Auch die USA, Großbritannien, Dänemark und die Niederlande werden mehrere hundert zusätzliche Flugabwehrraketen liefern. Ein Unterstützungspaket der Nato enthält Zusagen in Höhe von 500 Millionen Euro. Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow hatte bei dem Treffen dringend weitere Hilfe angemahnt, darunter gepanzerte Fahrzeuge, panzerbrechende Waffen und Munition.

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