Berlin. Zur Halbzeit der Legislaturperiode trauen die Wähler dem Ampel-Bündnis von Olaf Scholz nicht mehr viel zu. Sie haben gute Gründe dafür.

Eines muss man der Ampelkoalition lassen: Sie hat sich große Mühe gegeben, zumindest in den vergangenen Tagen. Ohne schwere Steine im Gepäck wollten Kanzler Olaf Scholz und seine Minister aufbrechen zu ihrer zweitägigen Klausurtagung im brandenburgischen Schloss Meseberg. Den monatelangen Streit über die Kindergrundsicherung legten sie rechtzeitig bei. Und am Dienstag konnte Sozialminister Hubertus Heil sogar noch verkünden, dass die Regelsätze für Millionen Bürgergeld-Empfänger kräftig steigen.

In Meseberg werden die Koalitionäre wieder den Teamgeist beschwören und zum wiederholten Male von einem Neustart des Regierungsbündnisses sprechen. Vom Geist des Aufbruchs, den die Partner vor knapp zwei Jahren zu spüren glaubten, ist jedoch nicht mehr viel übrig. SPD, Grüne und FDP haben sich aneinander wundgerieben. Und sie leugnen das nicht einmal mehr.

Ampel: „Wir versauen es uns permanent selbst“

Der Bundeskanzler mahnte am Dienstag zum Auftakt der Klausur eine bessere Kommunikation an. Seit Monaten fällt die Ampel vordringlich durch Streit auf, sei es beim Heizungsgesetz, beim Haushalt, in der Steuerpolitik oder eben bei der Kindergrundsicherung. Das Vertrauen der Wähler ist erst einmal dahin. Eine Trendumkehr nicht in Sicht, in den Umfragen triumphiert die AfD. Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen sagte unlängst mit Blick auf die Koalition: „Wir versauen es uns permanent selbst – und das ist natürlich auf Dauer kein Erfolgsgeheimnis.“

Thorsten Knuf, Politik-Korrespondent
Thorsten Knuf, Politik-Korrespondent © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Ob das Regierungsbündnis in den verbleibenden zwei Jahren der Legislaturperiode noch einmal die Kurve kriegt und eine Neuauflage der Koalition 2025 möglich wird, dürfte allerdings weniger vom künftigen Umgang miteinander abhängen. Sondern eher davon, ob sich bei den Bürgern noch einmal das Gefühl einstellt, dass die Ampel die richtigen Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit gibt.

Deutschland steckt in einer Rezession, was unter anderem eine Folge seiner starken Exportabhängigkeit und hoher Energiepreise ist. Dafür trägt die Ampel zwar keine unmittelbare Verantwortung. Trotzdem ist die Lage ihr Problem. Ihr Versprechen, dass die Energiewende nicht nur dem Klima nützte, sondern auch der Wirtschaft und den Verbrauchern und sogar Deutschlands Sicherheit, ist bislang noch nicht eingelöst. Beim Wirtschaftswachstum ist Deutschland das Schlusslicht unter den großen Volkswirtschaften. Die Energiepreise bleiben bis auf Weiteres hoch, der Druck auf den Arbeitsmarkt und die Staatsfinanzen nimmt zu.

Das Krisenmanagement nach Russlands Überfall auf die Ukraine haben SPD, Grüne und FDP gut hinbekommen. Aber dafür können sie sich politisch nichts mehr kaufen. Bei der nächsten Wahl in zwei Jahren wird die Koalition daran gemessen werden, ob Deutschland stärker aus der Krise und der großen Transformation herausgeht, als es hineingegangen ist. Bislang zumindest ist das nicht abzusehen.

Koalition: Wo die Reformpolitik funktioniert

Zum großen Bild gehört allerdings auch, dass die Koalition an einer Stelle ziemlich gut funktioniert. Und zwar dann, wenn es um die Modernisierung der Gesellschaft geht. Egal ob Fachkräfteeinwanderung, Staatsangehörigkeit, Namensrecht oder Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität: Zug um Zug passen die Ampelparteien die Rechtslage an veränderte Realitäten an. Nur lässt sich mit recht abstrakten Reformen dieser Art beim Wähler nicht das Vertrauen zurückgewinnen, das mit dem Streit ums Heizungsgesetz verloren gegangen ist.

Wenn man so will, ist die Kabinettsklausur am Dienstag und Mittwoch für die Ampel der Anpfiff zur zweiten Halbzeit. Entweder geht sie darin vollends unter oder sie kämpft sich zurück ins Spiel. Der Kanzler, der sich gern in der Deckung hält, glaubt immer noch an die zweite Option. Wenn es um Zweckoptimismus geht, macht ihm so schnell niemand etwas vor.