Berlin. Sahra Wagenknecht hat die Linke verlassen und will eine Partei gründen. Was man über das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ jetzt wissen muss.

Aus ihrer Perspektive gesehen positioniert sich Sahra Wagenknecht am Montag links außen. Der Saal der Bundespressekonferenz ist voll, als sie auf dem Podium Platz nimmt. Rechts neben ihr sitzen weitere – seit kurzem – ehemalige Mitglieder der Linken.

Gemeinsam verkünden sie an diesem Tag, dass sie die Linke verlassen haben, um eine neue Partei ins Leben zu rufen. „Wir haben uns zur Gründung einer neuen Partei entschieden, weil wir überzeugt sind, so wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen“, sagte die 54-jährige Wagenknecht. „Denn sonst werden wir unser Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen.“ Wer sich ihr anschließt, was die politischen Ziele hinter dem Projekt sind und wie sich das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ finanzieren will – ein Überblick.

Wie heißt die neue Partei?

Noch gibt es keine neue Partei, nur einen Verein, der die eigentliche Parteigründung vorbereiten soll, unter dem Namen „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“, kurz „BSW“. Die Partei wird, sobald sie existiert, wohl zunächst auch so heißen. Der Name sei aber eine Übergangslösung, betonte Wagenknecht. Man wolle eine Partei auf den Weg bringen, die sich „für die nächsten 40 oder 50 Jahre“ im deutschen Parteiensystem etabliere. „Ich kann Ihnen versprechen, so lange werde ich garantiert nicht mehr Politik in Deutschland machen.“

Wer verlässt mit Wagenknecht die Linke?

Prominentestes Gesicht der „BSW“ ist neben Wagenknecht Amira Mohamed Ali, die bis zum Sommer noch Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag war. Jetzt ist sie Vorsitzende des neuen Vereins, und Christian Leye, ebenfalls für die Linke in den Bundestag eingezogen, fungiert als ihr Stellvertreter. Geschäftsführer ist Lukas Schön, ehemaliger Geschäftsführer der Linken in Nordrhein-Westfalen. Mit an Bord ist außerdem der Karlsruher Unternehmer und Millionär Ralph Suikat, der sich über die Initiative „Tax me now“ für mehr Umverteilung einsetzt. Neben Wagenknecht, Mohamed Ali und Leye verlassen sieben weitere Bundestagsabgeordnete die Linkspartei, darunter Ex-Parteichef Klaus Ernst und die Wagenknecht-Vertraute Sevim Dagdelen.

Welche inhaltlichen Schwerpunkte setzt „BSW“?

Ein erstes Papier, das die Inhalte des Bündnisses skizziert, nennt vier Themenfelder: Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Außenpolitik und Demokratie. Unter anderem kritisiert „BSW“ schlechte wirtschaftliche Rahmenbedingungen wie hohe Energiekosten oder eine Infrastruktur, die in „blamabler“ Verfassung sei. Man fürchtet eine Abwanderung von Industrie. Den Mittelstand will Wagenknecht stärken, marktbeherrschende Konzerne dagegen in die Schranken weisen und Monopole entflechten.

Sahra Wagenknecht kann laut Umfragen auf 12 Prozent der Wählerstimmen hoffen.
Sahra Wagenknecht kann laut Umfragen auf 12 Prozent der Wählerstimmen hoffen. © Funke Foto Services | Reto Klar

Sozialpolitisch will das Projekt die Tarifbindung stärken. Zudem plädieren Wagenknecht und ihre Mitstreiter für eine Vermögens- und höhere Erbschaftssteuer, wobei beides nicht abziele auf „das normale Häuschen“ in der Mittelschicht, auch wenn das im Raum Stuttgart oder München „Werte oberhalb einer Million“ haben könne, wie Wagenknecht sagte. Energiepolitisch kritisiert Wagenknecht „blinden Klimaaktivismus“ und spricht sich dafür aus, wieder russisches Gas über Pipelines zu importieren.

Nicht genannt als Fokus der Partei wird dagegen die Migrationspolitik. Wagenknecht hatte sich mit der Linken in jahrelangem Streit unter anderem über den Kurs der Partei in der Migrationsfrage überworfen und für ihre deutlich migrationskritischeren Positionen nach eigenen Angaben sehr viel Zuspruch bekommen. Auch am Montag erklärte sie, „unkontrollierte Zuwanderung“ müsse „auf jeden Fall“ gestoppt werden. Die Ampel-Regierung im Bund bezeichnete Wagenknecht wiederholt als „schlechteste Regierung der bundesdeutschen Geschichte“.

Wie finanziert sich das Projekt?

Das Kernteam des „Bündnisses Sahra Wagenknecht“ warb am Montag um finanzielle Unterstützung für das Projekt. „Spenden sind jetzt, gerade in der Anfangsphase, ein ganz zentraler Erfolgsfaktor für unsere politische Arbeit“, sagte Suikat, der Schatzmeister des Vereins ist. Es sei „selbstverständlich, dass wir uns hier auch mit eigenen Mitteln engagieren“, ergänzte Wagenknecht, die mit ihren Honoraren aus Büchern und Vorträgen zu den Spitzenverdienern im Bundestag gehört. Die finanziellen Anforderungen an eine Parteigründung sowie an Wahlkämpfe wie im kommenden Jahr erreichten aber Dimensionen, die die Vereinsmitglieder allein überfordern würden, hieß es weiter.

Wann soll die Partei erstmals bei Wahlen antreten?

In der ersten Jahreshälfte 2024 sollen die ersten Landesverbände der neuen Partei entstehen, und schon zur Europawahl Anfang Juni soll sie dann auf dem Wahlzettel stehen, sagte Lukas Schön, Geschäftsführer des neuen Vereins. Auch in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, wo im Herbst neue Landtage gewählt werden, wollen Wagenknecht und ihr Verein antreten. Ob das klappt, hänge vom Aufbau der Landesverbände ab, so die Politikerin.

Welche Chancen hat Wagenknechts Projekt?

Politikwissenschaftler bescheinigen Wagenknecht, mit ihrer Kombination aus linker Sozialpolitik und eher rechten Positionen bei Migration oder Klimapolitik eine Lücke im deutschen Parteienspektrum zu füllen. Laut einer Insa-Umfrage für „Bild“ käme die Wagenknecht-Partei auf 12 Prozent, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. In dieser Umfrage wäre das Platz fünf, hinter der Union, AfD, SPD und Grünen.

Die Vorstandsmitglieder des Vereins „Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit“ Lukas Schön (l-r), Amira Mohamed Ali, Sarah Wagenknecht, Ralf Suikat und Christian Leye.
Die Vorstandsmitglieder des Vereins „Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit“ Lukas Schön (l-r), Amira Mohamed Ali, Sarah Wagenknecht, Ralf Suikat und Christian Leye. © Funke Foto Services | Reto Klar

Was heißt das für die Linke?

Trotz ihres Parteiaustritts wollen Wagenknecht, Mohamed Ali, Leye und sieben weitere Abgeordnete fürs Erste in der Linksfraktion bleiben und so, wie sie sagen, einen geordneten Übergang für die 108 Mitarbeiter der Fraktion ermöglichen. Denn ein sofortiger Austritt aus der Fraktion würde deren Ende bedeuten – die Linke im Bundestag fiele dann unter die Schwelle von mindestens fünf Prozent aller Abgeordneten, die eine Fraktion zahlenmäßig mindestens erreichen muss.

Damit würde sie nicht nur parlamentarische Rechte verlieren, sondern auch eine Menge Geld. Im vergangenen Jahr erhielt die Fraktion rund 11,5 Millionen Euro an Fraktionsfinanzierung aus dem Bundeshaushalt, der größte Teil – rund 9,3 Millionen Euro – wurde für Personalausgaben verwendet. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch bestätigte am Montag, dass Anträge der zehn aus der Partei ausgetretenen Abgeordneten auf Verbleib in der Fraktion eingegangen sein. Die Fraktion werde „souverän und in großer Ruhe darüber entscheiden“. Der Schritt dieser Abgeordneten „ist und bleibt unverantwortlich und inakzeptabel“, kritisierte Bartsch.

Die Linke wehrt sich auch juristisch dagegen, dass ihre Ressourcen für den Aufbau der neuen Partei genutzt werden: Der Landesverband NRW hat Anzeige erstattet gegen den ehemaligen Geschäftsführer Lukas Schön. In der Anzeige, die dieser Redaktion vorliegt, wird Schön vorgeworfen, noch in seiner alten Funktion Daten von Linken-Parteimitgliedern heruntergeladen zu haben, um sie zur Vorbereitung des neuen Projekts zu nutzen.

Wie steht die neue Partei zur AfD?

„Selbstverständlich werden wir nicht gemeinsame Sache mit der AfD machen“, sagte Wagenknecht am Montag, gefragt nach möglichen Kooperationen der neuen Partei. Im Gegenteil, man bringe eine Partei an den Start, um ein seriöses Angebot zu machen für alle, die „aus Wut, aus Verzweiflung, aber eben nicht, weil sie rechts sind“, AfD wählen oder darüber nachdenken.