Berlin. Einige Nachbarn schütteln verwundert den Kopf über die Republik. Doch neben vereinzelter Häme macht sich vor allem Besorgnis breit.

Wieder ein Streik? Noch eine Demo? Deutschland wirkt wie gelähmt. Die Wirtschaft kommt nicht in Schwung, die AfD gewinnt an Popularität. Wird Deutschland zum „kranken Mann Europas“ ? So sehen es die Nachbarn:

Italien: „Die deutsche Lokomotive steht still“

„Germania nel caos!“: Italien beobachtet verwundert die Krise in Deutschland. „Bauernproteste, Wirtschaftsprobleme, Politikverdrossenheit: In Deutschland herrscht das, was man einst ‚italienische Verhältnisse‘ nannte“, kommentiert die rechtsorientierte Tageszeitung „Il Giornale“. Die Bilder der demonstrierenden Landwirte und der Massenproteste gegen die AfD gehen um. Sorge und Verblüffung herrschen angesichts der politischen Turbulenzen und der Wirtschaftsprobleme – und insbesondere dem Ende der Ära der Verbrennungsmotoren.

Die von Deutschland-Exporten stark abhängige italienische Industrie zittert. „Deutschland ist der wichtigste Markt für die italienische Zulieferindustrie und kann nicht von heute auf morgen ersetzt werden“, analysierte die Mailänder Wirtschaftszeitung „Sole 24 ore“ die Lage. Auch Schadenfreude taucht in den Analysen von Experten auf. „Angela Merkel hat ein Jahrzehnt lang die EU-Strategie beeinflusst und sich der Überlegenheit der deutschen Politik gerühmt; nun hat Berlin nicht mehr die moralischen und materiellen Grundlagen, um in Europa seine Führungsrolle durchzusetzen“, schreibt die „Huffington Post“.

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Der Ökonom Claudio Paudice hebt die Unterschiede zwischen Italiens Premierministerin Giorgia Meloni, die mit Privatisierungen staatseigener Unternehmen ihre Wirtschaftspolitik finanzieren will, und Olaf Scholz hervor, der mit Milliarden von Stützungsmaßnahmen den Sozialstaat stärken will. „Die deutsche Lokomotive steht still“, kommentierte er.

Frankreich: Deutschland ist nicht wiederzuerkennen

Was ist bloß mit den Deutschen los? Diese Frage befeuert zahlreiche Artikel und Stammtischdiskussionen in Frankreich. Verwunderung und Sorge haben sich breit gemacht, weil man die als diszipliniert und etwas bieder geltenden Nachbarn am Rhein, deren Kompromisskultur und wirtschaftliche Stärke stets als Vorbilder galten, einfach nicht mehr wiedererkennt.

Menschen nehmen an einer Demonstration gegen die AfD mit dem Motto „Demokratie verteidigen“ am Brandenburger Tor teil.
Menschen nehmen an einer Demonstration gegen die AfD mit dem Motto „Demokratie verteidigen“ am Brandenburger Tor teil. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Manchmal habe er angesichts der Nachrichten aus Deutschland den Eindruck, dass er nicht das Auslandsressort, sondern die innenpolitischen Seiten seiner Zeitung aufgeschlagen habe, sagt der Besitzer eines Bistros. Bahnstreiks, Massendemonstrationen und Bauern, die mit ihren Traktoren ganze Landstriche lahmlegen – das seien doch wohl französische und nicht deutsche Markenzeichen. Spott ist aus seiner Stimme nicht herauszuhören, eher schon echte Verblüffung.

Politische, insbesondere Regierungskreise beschäftigt derweil vor allem das Schwächeln der deutschen Wirtschaft. Wenn die stärkste Volkswirtschaft der EU und der wichtigste Handelspartner in die Rezession abrutscht, lässt das in Paris sämtliche Alarmsirenen schrillen. Dass Frankreich ganz im Gegenteil einen stabilen Aufschwung verzeichnet, dass man es endlich einmal besser macht als der ewige Musterschüler, sorgt zwar für Stolz. Aber eben auch für nachhaltige Beunruhigung, weil eine Krise im Nachbarland rasch zu negativen Auswirkungen auf die eigene Ökonomie zu führen droht.

Spanien: Kommentatoren warnen vor „Niedergang Deutschlands“

Die Spanier können es kaum glauben: Europas viertgrößte Volkswirtschaft hat Deutschland, den europäischen Wirtschaftsmotor, überholt. Die spanische Wirtschaft wächst um 2,5 Prozent, während die Bundesrepublik in die Rezession rutscht. Verkehrte Welt: In der großen Finanzkrise vor 15 Jahren hatten die EU und nicht zuletzt die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble den Defizitsündern auf der Iberischen Halbinsel strenge Vorgaben gemacht.

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Statt Schadenfreude ist aber auch in Madrid eher Besorgnis zu spüren. Kommentatoren warnen vor einem „Niedergang Deutschlands“. Denn die ersten Folgen sind schon zu beobachten: Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner Spaniens – und war lange in vielem ein Vorbild. Aber jetzt scheint die deutsche Pünktlichkeit und Verlässlichkeit vorüber zu sein. Das Dauerchaos bei der Bahn und die Streiks sind Themen in spanischen Medien. Das gilt selbst für den Aufstieg der AfD. Auch in Spanien ist man beunruhigt darüber, dass immer mehr Deutsche unzufrieden mit der Politik der zerstrittenen Ampelkoalition sind.

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Angela Merkel wurde in Spanien fast verehrt, der Name ihres Nachfolgers ist dagegen vielen nicht geläufig. Zudem stößt die deutsche Solidarität mit Israel auf Unverständnis. Die spanische Öffentlichkeit ist größtenteils pro-palästinensisch und kritisiert das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen heftig. Die Großdemonstrationen gegen Rechtsextreme in Deutschland beeindrucken indes. In Spanien gab es nichts Vergleichbares bei den Wahlsiegen der Rechtspopulisten der Vox-Partei. Mit Vox koaliert die konservative PP in mehreren Regionen und zahlreichen Rathäusern bereits.

Österreich: Was ist eigentlich rechtsextrem?

Da sind die Demos im Nachbarland gegen die AfD, da ist die FPÖ in Österreich, die in Umfragen bei 30 Prozent liegt. Da sind die Wahlen im Herbst. Und da ist die Frage: Was ist eigentlich rechtsextrem? Zuletzt bezeichnete Kanzler Karl Nehammer FPÖ-Chef Herbert Kickl in einem TV-Interview als „rechtsextrem“. Wohlgemerkt: Den FPÖ-Chef, nicht die FPÖ. Es gab einige Kundgebungen gegen Rechtsextremismus in Wien und anderen Städten. Aber während das Thema in Deutschland Hunderttausende mobilisierte, gingen in der Zwei-Millionen-Stadt Wien nur 35.000 Menschen zu einem Bekenntnis gegen Rechtsradikalismus auf die Straße.

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Allerdings hat auch die andere Seite ihre Probleme bei der Mobilisierung: Ein groß angekündigter und von der FPÖ unterstützter Bauernprotest brachte zuletzt gerade einmal elf Traktoren und 300 Personen nach Wien. Straßenprotest ist nicht die Sache der Österreicher. Und die allgemeine Themen- und Problemlage ist Wind in den Segeln der FPÖ: Inflation, Wirtschaftsflaute, Migration, Korruptionsskandale in der Kanzlerpartei am laufenden Band und all das inmitten einer zunehmend isolationistischen Grundstimmung angesichts des russischen Krieges in der Ukraine sowie anderer Krisen. Die FPÖ muss nicht zu Demonstrationen auf die Straße rufen. Sie kann nach jetzigem Stand die bevorstehende Wahl ganz einfach mit Abstand gewinnen.

Großbritannien: Wachsende Sorge mit Blick auf den Aufstieg der AfD

Noch vor einigen Jahren hatte Deutschland bei den Briten einen ausgezeichneten Ruf. Besonders in liberaleren Kreisen blickte man nach dem Brexit und dem Aufstieg des Rechtspopulismus in Großbritannien neidisch auf den europäischen Nachbarn – Deutschland schien gegen politischen Extremismus gefeit, die Wirtschaft brummte. Der Journalist John Kampfner schrieb 2021 sogar ein Buch darüber, es heißt: „Warum Deutschland es besser macht: ein bewundernder Blick von außen.“ Aber damit ist es vorbei. In der Wirtschaftspresse liest man von der stotternden deutschen Wirtschaft, die laut der Zeitung „Financial Times“ zunehmend einem „Autounfall in Zeitlupe“ gleicht. Und mit wachsenden Sorgen blickt man auf den Aufstieg der AfD.

Dass Deutschland bei den Briten zunehmend in Ungnade fällt, sorgt bei konservativen Kommentatoren für viel Häme. Nachdem sie sich über Jahre von deutschen Journalisten und Politikern in Sachen Demokratie hatten belehren lassen müssen, drehen sie jetzt den Spieß um. „Uns Briten stünde es frei, unseren deutschen Freunden mit dem Finger zu drohen und zu bemängeln, dass der Aufstieg der AfD zeigt, dass sie ihre Lektion doch nicht gelernt haben“, schrieb das Magazin „The Critic“.