Berlin. Innenministerin Faeser will die Verwaltung im Land digitaler machen. Doch ihr fehlt das Druckmittel. Ein Gutachten sieht Spielraum.

Für ihren letzten Termin in einer Behörde haben die Deutschen im Schnitt fast zwei Stunden – exakt 114 Minuten – gebraucht, inklusive Anfahrt. Das zeigt eine Erhebung des Digitalverbands Bitkom. Um diese Zeit zu reduzieren, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am vergangenen Mittwoch das neue Onlinezugangsgesetz (OZG) auf den Weg gebracht. Die Ministerin verspricht: „Spätestens 2024 werden die Kfz- oder Führerscheinanmeldung, die Ummeldung, die Eheschließung, eine Baugenehmigung und das Elterngeld deutschlandweit digital beantragt werden können.“

Von Zuhause aus und schneller soll der Austausch zwischen Ämtern und Bürgern künftig laufen. Doch seitdem bekannt ist, wie genau sich Faeser die digitale Verwaltung vorstellt, ist auch klar, dass das Ziel von nur zwei Klicks bis zum neuen Personalausweis auf lange Zeit ein Wunsch bleiben wird. Denn es fehlt ein Druckmittel. Weder können Bürger oder Unternehmen klagen, wenn eine Behördenleistung nach zig Jahren immer noch nicht im Netz verfügbar ist, noch kann der Bund die unteren Verwaltungsebenen sanktionieren.

Gutachten belegt: Behörden können zur Digitalisierung verpflichtet werden

Genau das fordern jedoch Experten, wie der Nationale Normenkontrollrat, der dafür zuständig ist, Bundesgesetze einem Digitalcheck zu unterziehen. So kämen Bürger schneller in den Genuss von digitaler Verwaltung, denn jeder könnte gegen Bund, Länder und Kommunen klagen, wenn diese Behördengänge nicht online verfügbar machen. Bis heute sind nur 126 von 575 OZG-Leistungen bundesweit nutzbar.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat Pläne, um deutsche Behörden digitaler zu machen.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat Pläne, um deutsche Behörden digitaler zu machen. © dpa | Britta Pedersen

Jetzt hat sich der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags mit diesem Thema beschäftigt. In einem Gutachten, das unserer Redaktion exklusiv vorliegt, werden Wege aufgezeigt, wie ein Rechtsanspruch auf Digitalisierung der Behörden und möglicherweise sogar Sanktionen verfassungskonform funktionieren könnten.

Die Juristen des Bundestages kommen zu dem Schluss, dass „die objektive Verpflichtung staatlicher Stellen grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig“ ist. Sie schränken ein, dass die kommunale Selbstverwaltung zu berücksichtigen sei. Bei möglichen Schadensersatzansprüchen äußert sich der Wissenschaftliche Dienst zurückhaltender: Grundsätzlich sei ein Schadensersatz „für staatliches Unterlassen einer gesetzlichen Verpflichtung“ mit der Verfassung vereinbar, heißt es.

Bayern hat sich qua Gesetz verpflichtet, aber Sanktionen gibt es nicht

Als Beispiel könnte Bayern dienen, der Freistaat hat einen solchen Anspruch im Bayerischen Digitalgesetz geregelt. Dort heißt es: „Jeder hat das Recht (...) digital über das Internet mit den Behörden zu kommunizieren und ihre Dienste in Anspruch zu nehmen.“

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Die bayerische Digitalstaatsministerin Judith Gerlach (CSU) hat jedoch das Problem, dass ihr außer Ermahnungen und Geldanreizen die Hände gebunden sind. Will das Bundesinnenministerium also eine Digitalpflicht und Sanktionen ins OZG aufnehmen, müsste der Bundesrat zustimmen. Eine Mehrheit gilt als unwahrscheinlich, weil diese Pflicht für die Länder unbequem wäre.

Die bayerische Digitalstaatsministerin Judith Gerlach (CSU) will ihre Landesbehörden mit Anreizen dazu bringen, dass sie mehr Leistungen online anbieten.
Die bayerische Digitalstaatsministerin Judith Gerlach (CSU) will ihre Landesbehörden mit Anreizen dazu bringen, dass sie mehr Leistungen online anbieten. © dpa | Sven Hoppe

Die Hoffnung stirbt zuletzt, findet die Innenpolitikerin Misbah Khan (Grüne): „Dass allein ein hoher Digitalisierungsdruck zu einer schnellen Umsetzung der OZG-Leistungen führen wird, halte ich für sehr optimistisch.“ Dabei setze die Verwaltung Bürgerinnen und Bürgern immer wieder Fristen, bei deren Nichteinhaltung Sanktionen erhoben werden. „Wieso das im Fall der Digitalisierung nicht umgekehrt für die Verwaltung gelten soll, ist nicht erklärbar“, sagt die Bundestagsabgeordnete. Grüne und FDP wollen der SPD-Ministerin jetzt Druck machen.

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