Berlin. Nach Mohamed Ali erklärt auch Bartsch überraschend seinen Rückzug. Für die Linke ist das ein Desaster – doch ist es auch ihr Ende?

Thorsten Zopf wird wohl nicht überrascht worden sein von der Entscheidung seines Chefs. Doch auch wenn es Vorbereitungszeit gab, hat sie offenbar nicht gereicht: Es sei das für ihn „eigentlich nicht denkbare eingetreten“, schrieb Zopf am Mittwoch auf Instagram. Dort war er bekannt geworden als „Dem Dietmar sein Fahrer“ – der Mann, der seit Jahren den Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch quer durch Deutschland fährt und Fotos von den Reisen postet.

Doch das dürfte jetzt vorbei sein. Denn Dietmar Bartsch, seit Jahrzehnten prägende Figur erst der PDS, dann der Linken, hört auf. Nach acht Jahren an der Spitze der Linksfraktion will er in Zukunft nicht mehr deren Chef sein. Bei einer Fraktionsklausur Anfang September, das wurde am Mittwoch bekannt, wird er nicht mehr kandidierenden.

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Bartsch selbst wirkte aufgeräumt, mit sich im Reinen, als er das im Bundestag vor Kameras erklärte. Dabei hat der Schritt, den der 65-Jährige wenige Stunden vorher in einem Brief an die Mitglieder seiner Fraktion erklärt hatte, das Potenzial die ohnehin angespannte Situation der Partei weiter zu verschlimmern.

Bodo Ramelow hatte Bartsch gebeten, zu bleiben

Die Entscheidung habe er bereits vor der vergangenen Bundestagswahl getroffen, sagte Bartsch in seinem Statement am Nachmittag, dann nach zahlreichen Bitten aus der Partei noch einmal in Frage gestellt, um am Ende doch dabei zu bleiben: Vor einigen Tagen, so erzählt er es, habe er seinen endgültigen Beschluss gefasst.

Gründe für den Schritt nannte er weder im Brief an seine Fraktion noch später vor den Kameras, nur so viel: Es sei „keine leichte Entscheidung“ gewesen für jemanden, der sich so lange zunächst für die PDS und dann die Linke engagiert habe.

Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke, gibt sein Amt auf.
Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke, gibt sein Amt auf. © dpa | Michael Kappeler

Einer von denen, die auf Bartsch eingewirkt hatten, noch einmal zu kandidieren, ist Bodo Ramelow: Er respektiere Bartschs Entscheidung, sagte der Ministerpräsident Thüringens dieser Redaktion. „Aber ich räume ein, ihn in den letzten Tagen gebeten zu haben, es anders zu entscheiden.“ Er hätte sich gewünscht, dass Bartsch bis zum Ende der Legislaturperiode die Fraktion führt. Auch die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan bedauerten den Schritt – und verbuchten Bartsch gleichzeitig an ihrer Seite als Verbündeten „im Kampf um eine starke und geeinte Linke“

Verbündete in diesem Kampf brauchen Partei und Fraktion derzeit alle, die sie bekommen können. Denn 16 Jahre nach dem Zusammenschluss von PDS und WASG steckt die Partei Die Linke mitten in einer existenzbedrohenden Krise.

Hintergrund ist der Dauerstreit mit Wagenknecht

Der Rückzug des langjährigen Fraktionschefs – Bartsch hatte den Posten seit 2015 inne – ist das jüngste in einer Kette von Ereignissen, die selbst aus der eigenen Fraktion heraus als „Auflösungserscheinungen“ beschrieben werden. Im Juni hatte Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Partei, seinen Abschied erklärt – er sprach von Gründen, die „fast ausschließlich persönlicher Natur“ seien.

Bartschs Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali erklärte dann vor wenigen Tagen, dass sie nicht erneut zur Verfügung stehe. Und sie machte keinen Hehl daraus, dass es vor allem ein Thema war, dass für sie den Ausschlag gab: der Streit zwischen der Parteiführung und Sahra Wagenknecht.

Sahra Wagenknecht liebäugelt mit der Gründung einer eigenen Partei.
Sahra Wagenknecht liebäugelt mit der Gründung einer eigenen Partei. © dpa | Britta Pedersen

Schon die vorherige Parteispitze aus Katja Kipping und Bernd Riexinger hatte sich über Jahre und letztendlich unheilbar mit Ex-Fraktionschefin Wagenknecht gestritten. Auch das erstmals 2021 gewählte Team Wissler und Schirdewan schaffte es nicht, den Riss zu kitten. Geflüchtete, Klimaschutz und zuletzt immer wieder der Krieg Russlands gegen die Ukraine – Wagenknecht steht bei vielen Themen auf grundsätzlich anderen Positionen als ihre Partei, und hatte immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass diese sich ja zu ihr bewegen könne, wenn sie Einigkeit wünscht.

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Währenddessen kokettierte sie öffentlich immer wieder mit der Gründung eines Konkurrenzprojekts – bis der Parteivorstand im Juni schließlich offiziell beschloss, die Zukunft der Linkspartei sei eine „ohne Sahra Wagenknecht“.

Dass mit Carola Rackete eine Aktivistin die Linke in den Europawahlkampf führen soll, die mit Seenotrettung bekannt wurde und der Klimagerechtigkeitsbewegung angehört, unterstreicht das nur. Der Streit überlagert fast alle politischen Positionen und Initiativen der Partei, im Bund kommt sie in Umfragen kaum über sechs Prozent hinaus. In zwei von drei ostdeutschen Ländern, in denen im kommenden Jahr gewählt wird, und wo die Linke einst den Status einer Volkspartei hatte, muss sie zittern um die Zweistelligkeit. Und in Thüringen liegt die AfD weit vorn.

Wagenknecht-Partei könnte rund 20 Prozent holen

Noch hat Wagenknecht sich nicht final geäußert, ob sie eine neue Partei gründet, als Frist zur Entscheidung hat sie selbst das Jahresende gesetzt. Denkbar gilt innerhalb der Linken auch, dass schon kurz vor oder nach der Hessen-Wahl Klarheit herrscht. Umfragen zufolge könnten rund 20 Prozent der Menschen sich vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen, vor allem jene, die bisher Linke gewählt haben – oder AfD.

Die damaligen Fraktionsvorsitzenden der Linken, Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, am 14. Januar 2018.
Die damaligen Fraktionsvorsitzenden der Linken, Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, am 14. Januar 2018. © dpa | Britta Pedersen

Doch egal ob diese Partei wirklich kommt – in der Linken scheint Wagenknecht längst einen Zerfallsprozess in Gang gesetzt zu haben. Ein Teil der Fraktion sitze „auf gepackten Koffern“, diagnostizierte Ex-Parteichef Riexinger in dieser Woche, bereit auf Abruf, Wagenknecht zu folgen. Wie groß dieser Teil ist, lässt sich schwer abschätzen. Doch schon, wenn nur zwei Bundestagsabgeordnete aus der Fraktion folgen würden, wären es aus Sicht der Linken zu viele.

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Dann nämlich wären weniger als fünf Prozent aller Abgeordneten bei der Linken – und der Fraktionsstatus im Bundestag dahin. Weg wäre dann ein Machtzentrum und eine Menge Geld, denn der Fraktionsstatus bringt hunderttausende Euro an Finanzierung für Mitarbeiter, Büros, Öffentlichkeitsarbeit und andere Tätigkeiten der Fraktion. Auch vor diesem Hintergrund ist Bartschs Entscheidung zu sehen. Bei einer Wiederwahl wäre er möglicherweise Fraktionschef auf Zeit geworden.

Wer Bartsch an der Spitze nachfolgen kann, ist offen

Wer dieses Amt an Stelle von Bartsch und Mohamed Ali haben möchte, war am Mittwoch offen. Bewerberinnen und Bewerber waren zunächst nicht zu entdecken. Denkbar wäre, dass Parteichefin Wissler selbst nach dem Amt greift und Partei- und Fraktionsspitze so zueinander finden. Auch die Namen von Gesine Lötzsch und Sören Pellmann werden genannt. Beide hatten bei der Bundestagswahl Direktmandate geholt und so mit ermöglicht, dass die Partei trotz des eigentlich zu schwachen Wahlergebnisses von 4,9 Prozent weiterhin als Fraktion im Bundestag blieb.

Dietmar Bartsch gab sich am Mittwoch betont optimistisch, dass es auch im nächsten Bundestag noch eine Linksfraktion geben werde. Und auch diesem werde eine linke Oppositionspartei „dringend gebraucht“. Seiner Partei sei in der Vergangenheit schon häufig der Untergang prophezeit worden, hieß es im Brief an die Fraktion. Viele würden auch jetzt wieder über das Ende der Linken „schwadronieren“. Doch diese Menschen würden irren, wenn es der Linken nur gelingen würde, dass „Menschlichkeit, Solidarität, Herzlichkeit und viel Lächeln“ wieder ihr Handeln bestimmen würden. (mit md/cu)