Berlin. Seit Monaten spielt Sahra Wagenknecht öffentlich mit dem Gedanken, eine Partei zu gründen. Was es braucht, damit das funktioniert.

Macht sie’s, oder macht sie’s nicht? Seit Monaten erwägt Sahra Wagenknecht, Noch-Mitglied der Linken, sehr öffentlich, diese zu verlassen und eine eigene Partei zu gründen. Bis Ende des Jahres soll klar sein, ob die „Wagenknecht-Partei“ wirklich kommt.

Die Entscheidungen der 54-Jährigen hängt dabei nicht nur davon ab, ob sie will. Niemand, sagt sie in Interviews, könne schließlich allein eine Partei gründen. Doch was ist eigentlich nötig, damit eine neue Partei Erfolg hat?

Formal ist die Gründung einer Partei in Deutschland nicht schwierig. „Es gibt keine genau festgelegte Anzahl von Mitgliedern, die eine Partei haben muss“, sagte Hendrik Träger, Politikwissenschaftler von der Universität Leipzig. „Es gibt auch kein Zulassungsverfahren.“ Gleichgesinnte, die sich in einer Partei zusammentun wollen, müssen bei einem Treffen eine Satzung beschließen und eine Art Programm, das zumindest grundlegende Ideen und Ziele festhält, und einen Vorstand wählen. Zusammen mit einem Protokoll dieser Gründungsversammlung werden diese Unterlagen dann bei der Bundeswahlleiterin hinterlegt. Will eine Partei an einer Wahl teilnehmen, prüft der zuständige Wahlausschuss, ob alle formalen Kriterien erfüllt sind.

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Die Europa-Wahl 2024 wäre die erste bundesweite Wahl für die Wagenknecht-Partei

Die größere Aufgabe als die ordnungsgemäße Gründung sei aber der Aufbau von Organisationsstrukturen, sagt Träger. „Wenn man etwa bei der Europawahl antreten will als Partei, müsste man schon in Teilen der Bundesrepublik Parteistrukturen, Gebietsverbände, Geschäftsstellen haben, um Wahlkampf zu betreiben und Kandidaten aufzustellen.“ Die Europawahl im kommenden Juni wäre die erste bundesweite Wahl, bei der eine von Wagenknecht angeführte Partei potenziell antreten könnte.

Sahra Wagenknecht und Alt-Feministin Alice Schwarzer initiierten Anfang des Jahres das „Manifest für den Frieden“. Das Manifest war in die Kritik geraten, weil es zu Verhandlungen zwischen Kriegsparteien im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aufruft und von beiden Seiten Zugeständnisse fordert.
Sahra Wagenknecht und Alt-Feministin Alice Schwarzer initiierten Anfang des Jahres das „Manifest für den Frieden“. Das Manifest war in die Kritik geraten, weil es zu Verhandlungen zwischen Kriegsparteien im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aufruft und von beiden Seiten Zugeständnisse fordert. © epd | Christian Ditsch

Der Schlüssel zu einer funktionsfähigen Organisation sei es, „Demokratie und Effizienz“ miteinander zu vereinbaren, sagt Damian Boeselager. Er gründete gemeinsam mit Freunden 2017 die pro-europäische Partei Volt, für die er heute im EU-Parlament sitzt. Wichtig seien im Aufbau einer Partei klare Prozesse und gute Kommunikation, sagt er. Demokratie heiße nicht: „Jeder alles immer.“ Stattdessen müsse klar gemacht werden, wann Themen für die Debatte geöffnet werden, wann Ergebnisse dieser Debatten überarbeitet werden, wann es weiter geht.

Und je geringer die Reibungsverluste aus internen Konflikten, desto größer sei die Schlagfertigkeit nach außen. „Ego und Personenkult sind grundsätzlich nicht gut für eine Organisation“, sagt Boeselager. „Loyalität gegenüber Vorsitzenden darf nicht wichtiger sein als Kompetenz.“ Gleichzeitig müsse aber ein Parteivorstand auch in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen – und nicht alles immer wieder an die Basis zurückgeben.

Arbeit hinter den Kulissen? Nichts für Wagenknecht

Doch die unsichtbare, oft undankbare Arbeit hinter den Kulissen ist kein Talent von Sahra Wagenknecht, das sagt sie selbst. Gefragt nach den Hürden auf dem Weg zu einer möglichen neuen Partei verweist sie immer wieder auf ihre Erfahrung mit „Aufstehen“: Unter diesem Schlagwort wollten Wagenknecht und Mitstreiter 2018 eine außerparlamentarische Bewegung aufbauen, die von links Druck vor allem auf SPD, Grüne und Linke aufbauen wollte.

„Aufstehen“ traf auf große Resonanz und sammelte in kurzer Zeit mehr als 100.000 Kontakte von Menschen ein, die Interesse an der Bewegung hatten. Doch die Köpfe dahinter scheiterten völlig daran, daraus eine handlungsfähige Organisation zu formen.

Soll das mögliche neue Projekt nicht denselben Weg gehen, braucht Wagenknecht also Mitstreiter, die Strukturen aufbauen können. Die Landes- und vielleicht Kreisverbände gründen können und mögliche Kandidaten überzeugen, anzutreten. Die E-Mail-Verteiler und Websites bauen, die bereit sind, eine lange Reihe von Parteisitzungen mitzumachen. In der Partei, der sie derzeit noch angehört, gibt es zumindest erhebliche Zweifel, ob Wagenknecht genügend solche Leute hat.

Gleichzeitig müssen gerade junge, noch sehr formbare Parteien vorsichtig sein, wen sie als Mitglieder aufnehmen. Schon jetzt denken deshalb Wagenknecht-Verbündete wie Diether Dehm, Ex-Bundestagsabgeordneter für die Linke, laut darüber nach, wie man sich schützen könne vor „Glücksrittern“ oder Leuten, „die schon drei Parteien und fünf Psychiater verschlissen haben“.

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„Für eine neuzugründende Partei geradezu der Idealfall“

Trotzdem, die Startbedingungen für eine neue Partei mit Wagenknecht an der Spitze sind nicht die schlechtesten, sagt Politikwissenschaftler Träger. Eine inhaltliche Lücke in der Parteienlandschaft gebe es, links vom regierenden Ampel-Bündnis sei neben der Linkspartei, die in Umfragen um fünf Prozent pendelt, noch Platz.

Hilfreich sei vor allem Wagenknechts enorme Bekanntheit: „Für eine neu zu gründende Partei ist es geradezu der Idealfall, eine Person zu haben, die seit Jahrzehnten politisch aktiv und weit über das eigene Lager hinaus bekannt ist“, sagt er. Innerparteilich könnte es allerdings die Arbeit eher erschweren. „Wenn alle im Schatten einer Person stehen, müssen sich die anderen zurücknehmen. Das fällt nicht allen, die in die Politik gehen, leicht.“

Dazu kommt: Die inhaltlichen Umrisse einer Wagenknecht-Partei sind bislang nur grob zu erkennen. Gemessen an Wagenknechts eigenen Positionen wäre sie wohl deutlich migrationskritischer als die Linke, weniger europäisch, näher an Russland, mit einem Schwerpunkt auf Sozialthemen und eher wenig klimapolitischer Ambition. Doch was das konkret heißt und wie es auf anderen Politikfeldern aussähe, ist unklar. Ein großer Teil der Anziehungskraft scheint sich auf Wagenknecht als Person und Projektionsfläche zu konzentrieren. Auch wenn eine Person noch keine erfolgreiche Partei macht.