Berlin. Sahra Wagenknecht gründet eine neue Partei. Aber wer ist die Politikerin? Alle Fakten zu Person, Familie und Politik im Steckbrief.

Sahra Wagenknecht war einst das schillernde Gesicht der Linken, die ähnlich redegewandt wie ihr Vorgänger nach der Gysi-Ära die Fraktion anführte. Doch ihrer politischen Heimat wendete sie zunehmend den Rücken zu: Mit ihrer Bewegung „Aufstehen“, ihrem Buch „Die Selbstgerechten“, der Forderung nach einer härteren Gangart in der Flüchtlingspolitik oder eigenwilligen Vorstellungen zum Umgang mit dem Ukraine-Krieg forderte sie ihre einstige politische Heimat heraus.

Bislang scheiterte sie mit eigenen Ansätzen. Doch im Oktober 2023 – während Kriege in der und Nahost toben, hohe Flüchtlingszahlen die Debatte bestimmen und die Inflation auf die Gemüter drückt – wagt die 54-Jährige einen neuen Versuch, der laut Umfragen vielversprechend sein könnte. Aus dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BWS) soll eine eigene Partei entstehen. Doch was steckt hinter der Person Sahra Wagenknecht? Ein Überblick im Steckbrief.

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Sahra Wagenknecht – die wichtigsten Infos zur Politikerin im Steckbrief

NameSahra Wagenknecht
Geburtsdatum16. Juli 1969
Parteiehemals Die Linke (vormals SED und PDS), Bündnis Sahra Wagenknecht
Parteimitglied seit1989 (SED) bis 2023 (Die Linke)
Familienstandverheiratet, keine Kinder
EhemannOskar Lafontaine
WohnortMerzig (Saarland)

Sahra Wagenknecht: Familie, Jugend und Partner – das wichtigste zu ihrem Privatleben

Sahra Wagenknecht wurde am 16. Juli 1969 im thüringischen Jena geboren und wuchs während der Schulzeit bei ihrer Mutter in Ost-Berlin auf. Ihr iranischer Vater gilt seit ihrer frühsten Jugend als verschollen. In einem Interview mit der „Zeit“ erzählte sie, dass sie als Kind nie aufgehört habe, auf die Rückkehr ihres Vaters zu warten. 1988 legte sie an der Erweiterten Oberschule Albert Einstein in Berlin-Marzahn ihr Abitur ab. Zunächst schrieb sie sich „Sarah“. Später änderte sie die Schreibweise ins persische „Sahra“.

  • Ausbildung: Nach dem Fall der Berliner Mauer nahm Wagenknecht 1990 ein Studium der Philosophie und Neueren Deutschen Literatur an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und an der Humboldt-Universität in Berlin auf. Ihren Abschluss in Philosophie erlangte sie an der Reichsuniversität Groningen. Zwischen 2005 und 2012 promovierte sie an der TU Chemnitz mit dem volkswirtschaftlichen Thema „Die Grenzen der Wahlfreiheit. Sparentscheidungen und Grundbedürfnisse in entwickelten Ländern“ und trägt seitdem einen Doktor im Namen.
  • Beruf: Nach dem Abitur wurde Wagenknecht in der DDR zunächst ein Studienverbot erteilt. Sie arbeitete einige Monate als Sekretärin und gab Nachhilfe in Russisch. Nach der Wende nahm sie dann sogleich ihr Studium auf.
  • Familie: Die Politikerin war bereits zwei Mal verheiratet. 1997 ging sie am Geburtstag von Karl Marx den Bund der Ehe mit dem früheren Journalisten, Politiker und heutigem Sympathisanten der „Reichsbürger“-Szene Ralph T. Niemeyer ein. „Ich habe Sahra interviewt, und das Interview hat bis heute kein Ende genommen“, sagte Niemeyer damals. Bis zur Scheidung 2013 zeugte ihr Ehemann drei Kinder, allerdings nicht mit der Politikerin. Seit 2014 ist sie mit dem früheren SPD- und anschließend Linken-Politiker Oskar Lafontaine verheiratet. Gemeinsam mit dem 80-Jährigen lebt sie in seiner Heimat in Merzig im Saarland.
Sahra Wagenknecht mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine 2014.
Sahra Wagenknecht mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine 2014. © Getty Images | Thomas Lohnes

Wagenknecht hat keine Kinder, was sie in einem persönlichen Interview mit der „Zeit“ bereute: „Mit dieser Leerstelle, kein Kind zu haben, muss ich leben“, sagte sie der Zeitung. Lafontaine habe sie zu spät kennengelernt. „Es passte einfach nicht. Und ich finde, man sollte einem Kind eine über 40-jährige Mutter und einen Vater Ende 60 auch nicht unbedingt antun.“

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Sahra Wagenknecht – die wichtigsten Stationen ihrer Karriere

Als die DDR ihrem Ende entgegensah, trat die spätere Spitzenpolitikerin in die SED ein. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und nach dem Übergang von SED zur PDS wurde sie 1991 Mitglied des Bundesvorstandes, wo sie allerdings mit Gregor Gysi wegen ihrer kommunistischen Positionen aneckte.

Zwischen 2004 und 2009 vertrat Wagenknecht ihre Partei im Europaparlament, bevor sie 2009 über die Liste erstmals in den Bundestag einzog. Das Direktmandat in Düsseldorf hatte die Politikerin dabei deutlich verfehlt.

Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch nach dem Rückzug von Gregor Gysi vom Fraktionsvorsitz 2015.
Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch nach dem Rückzug von Gregor Gysi vom Fraktionsvorsitz 2015. © dpa | Oliver Berg

Zwischen 2010 und 2014 bekleidete Wagenknecht die Position der stellvertretenden Parteivorsitzenden. Nachdem ihr Vorgänger Gregor Gysi 2015 seinen Rückzug angekündigt hatte, übernahm sie mit Dietmar Bartsch bis 2019 den Fraktionsvorsitz – zwischenzeitlich als Oppositionsführerin, bevor die AfD in den Bundestag einzog. 2017 waren die beiden Spitzenkandidaten ihrer Partei. 2019 zog sich Wagenknecht wegen eines Burn-outs von hohen politischen Ämtern zurück.

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Sahra Wagenknecht: Für welche Themen setzt sich die Politikerin ein?

Wagenknecht galt als linke Vertreterin ihrer Partei. Noch bis 2010 war sie Mitglied der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften Kommunistischen Plattform (KPF) innerhalb der Linken. Unter ihrem Fraktionsvorsitz galt es für die Linke als ausgeschlossen, mit der SPD zu koalieren. Grund dafür war unter anderem ihre konsequente Ablehnung der Hartz-IV-Gesetze der sozialdemokratischen Regierung unter Gerhard Schröder. In den vergangenen Jahren positionierte sie sich jedoch zu Themen, die nicht im klassischen Sinne als „links“ eingestuft werden – darunter etwa die Kritik an Identitäts-, Corona- oder Flüchtlingspolitik.

  • Soziales: Wagenknecht war lange Jahre eine der prominentesten Kritikerinnen der Hartz-IV-Gesetze, die die SPD unter Gerhard Schröder mit den Grünen verabschiedet hatte. „Das Problem ist doch gerade, dass die SPD mit der Agenda 2010 die Seite gewechselt hat“, sagte die Linke-Politikerin 2018 der „Zeit“. Damit proklamiert sie den Anspruch auf eine Politik des sozialen Ausgleichs für sich. Immer wieder schlug Wagenknecht kapitalismuskritische Töne an, etwa in ihrem Buch „Reichtum ohne Gier“.
  • Außenpolitik: In der Tradition ihrer Partei hatte Wagenknecht seit jeher Verständnis für russische Interessen und kritisierte die USA für ihre Auslandseinsätze, indem sie etwa die Luftangriffe auf Syrien mit den Terroranschlägen von Paris verglich. Als Vertreterin des linken Flügels ihrer Partei steht sie der NATO kritisch gegenüber und warnte immer wieder vor einer Mitgliedschaft der Ukraine, da dies Russland provozieren könne. Nachdem sich weite Teile der Partei gezwungen sahen, nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine ihre Position zu überdenken, fiel Wagenknecht durch die Forderung nach Friedensgesprächen auf. Trotz des Krieges möchte sie billige Rohstoffe aus Russland importieren. Die Sanktionen sieht sie als unnötige Belastung der deutschen Volkswirtschaft.
  • Corona-Politik: Als eine Corona-Impfung auch in Deutschland für alle zugänglich war, bekannte sich Wagenknecht dazu, nicht geimpft zu sein. Alsdann profilierte sie sich als prominente Vertreterin von Nichtgeimpften und positionierte sich gegen eine generelle Impfpflicht. Als Begründung nannte sie unter anderem vermeintlich nicht absehbare Langzeitfolgen.
  • Identitätspolitik: In ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ positionierte sich Wagenknecht gegen Teile ihrer eigenen Partei und des linken Milieus. „Die Identitätspolitik läuft darauf hinaus, das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu richten, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein“, heißt es in ihrem Buch, in dem sie vor einer „Lifestyle-Linken“ warnt.
  • Einwanderungspolitik: Im Gegensatz zu anderen Vertretern der Linken setzt sich Wagenknecht für mehr Härte in der Flüchtlingspolitik ein. „Es gibt Grenzen, jenseits derer unser Land überfordert wird und Integration nicht mehr funktioniert“, sagte sie der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Deutschland dürfe nicht aus falsch verstandener Toleranz zulassen, „dass in unserem Land religiöse Hasslehren verbreitet werden oder unser Sozialstaat ausgenutzt wird“.

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Sahra Wagenknecht: Erfolge und Kontroversen der Politikerin

Seitdem Wagenknecht 1991 die politische Bühne betrat, fällt sie durch kontroverse Positionen auch innerhalb ihrer Partei auf. Als sie 2018 in einer gelben Warnweste vor die Kamera trat und mit der gleichnamigen Bewegung in Frankreich sympathisierte, markierte sie erstmals Ambitionen über die eigene Partei hinaus. Ihre Bewegung „Aufstehen“ verstand sie als Initiative, die verstreute Linke zu einen. Parteiintern stieß ihr Vorstoß jedoch auf Kritik. Befürchtungen wurden laut, auch Rechte könnten die Initiative unterwandern.

Nach ihrem Rückzug aus den vorderen Reihen der Politik, den sie mit ihrem Burn-out begründete, schien es lange ruhig um die schillernde Politikerin der Linken. Mit ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ stand sie 2021 plötzlich wieder im medialen Rampenlicht: Klassisch linke Milieus beschreibt sie darin als „Lifestyle-Linke“, was von vielen Beobachtern auch als Kritik an der Klientelpolitik der eigenen Partei gewertet wurde. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ wertet sie Gendersternchen als Lifestyle-Fragen, während sich linke Politik eigentlich um Belange wie sozialen Ausgleich, Löhne und Rente kümmern solle. Infolgedessen beantragten ihre Kritiker den Parteiausschluss, der jedoch abgelehnt wurde.

In der Hochphase der Corona-Pandemie gab sie in einem Interview mit Markus Lanz an, nicht geimpft zu sein. Fortan kritisierte sie meinungsstark eine mögliche staatlich verordnete Impfpflicht. Eine Position, die selten von Linken proklamiert wurde und weitgehend Parteien rechts der Mitte vorbehalten war.

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer bei einer Demonstration für Verhandlungen mit Russland am Brandenburger Tor.
Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer bei einer Demonstration für Verhandlungen mit Russland am Brandenburger Tor. © DPA Images | Christophe Gateau

Auch in der folgenden Krise bezog Wagenknecht eine innerhalb der Linken als unliebsam wahrgenommene Position. Als die Partei nach dem Angriff auf die Ukraine ihre bislang russlandfreundliche Position neu finden musste, bediente Wagenknecht weiterhin ihre antiamerikanische Rhetorik. Als sie im Bundestag der Bundesregierung vorwarf, mit Blick auf Russland „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen“, gingen zahlreiche prominente Vertreter der Linken auf Distanz – darunter der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, und Fabio De Masi. Gemeinsam mit der Feministin Alice Schwarzer warb sie um Unterstützer für das „Manifest für den Frieden“.

Seit ihren Andeutungen, eine neue Partei zu gründen, forderten Linke-Politiker erneut ihren Austritt. Am 23. Oktober verkündete Wagenknecht, dass aus dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) eine Partei entstehen soll und erklärte selbst ihren Austritt aus der Linken.